Verfasst von: aeropersredaktion | 17/12/2010

Spass an der Arbeit und doch unzufrieden

Und weiter geht es mit der AEROPERS-Rundschau. Der folgende Beitrag von Jürg Lederman eignet sich, nicht zuletzt wegen seiner Länge, hervorragend als Wochenendliteratur.

Der Autor erklärt unter anderem, warum Airbus-Piloten ihrer Airline über 30 Jahre lang treu bleiben, anders als typische Manager, die oft  nur so lange in einer Firma bleiben, bis sie die nächste Karrierechance bei einer anderen Firma sehen. Im Wissen, dass sie meist nur 2-3 Jahre bleiben, treffen Manager nicht selten Entscheidungen, die zwar kurzfristig den Gewinn – und damit ihre Reputation – steigern, langfristig aber nicht unbedingt die beste Wahl sind. Hauptsache, es dient der nächsten Beförderung oder dem nächsten Stellenwechsel. Piloten hingegen sind ganz eindeutig am langfristigen Erfolg ihrer Airline mehr interessiert als an kurzfristigen Scheinerfolgen. Hauptsächlich jedoch widmet sich der Artikel den verschiedenen Formen von Motivation und Zufriedenheit und zeigt auf, warum Zuverlässigkeit so entscheidend ist für die Motivation und für die Sicherheit, und wie Arbeitszufriedenheit, Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden miteinander zusammenhängen.

Obwohl ihr Beruf sie mit Freude erfüllt, ist die Arbeitszufriedenheit der Piloten am Boden. Die letzten Jahre haben zu sehr an ihrer Substanz genagt. Eine Auslegeordnung über Motivation und Zufriedenheit soll den scheinbaren Widerspruch aufklären. Zur Zufriedenheit braucht es mehr als nur einen tollen Arbeitsplatz.

Text: Jürg Ledermann

Die Zukunft der Swiss hat Konturen angenommen. Erste Zahlen wurden in der Presse Ende September verkündet. Die Swiss bestätigte das Flottenwachstum in ihrer Medienmitteilung vom 28. Oktober. Bis zum Frühjahr 2012 stossen vier Flugzeuge der A320-Familie dazu. Anschliessend wird die A330-300-Flotte gestaffelt um fünf Flugzeuge ausgebaut, und auch das Europasegment wird um je zwei A320 und zwei A321 weiter wachsen. Alles eingeschlossen steht die Swiss vor einem Flottenausbau von über 20 Prozent.

Angesichts dieser Zahlen fühlt man sich ins Jahr 2006 zurückversetzt: Der Firma ging es schon damals sehr gut. Sie erzielte EBIT-Margen wie noch nie zuvor. Sie wollte expandieren und Marktchancen wahrnehmen. Es entstand ein neuer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für die Airbus-Piloten, der während dieser Expansionsjahre Gültigkeit haben sollte. Damals war nur die Rede von zwei neuen Langstreckenflugzeugen. Es folgte aber eine 25-prozentige Expansion, weil die Swiss auch schon 2006 «schnell auf Marktveränderungen reagieren» wollte. Obwohl der GAV 2006 als WachstumsGAV angepriesen wurde, konnte das Wachstum nicht sozialverträglich abgewickelt werden. Im Gegenteil: es erzeugte erhebliche «Wachstumsschmerzen» und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

Erfahrungen mit Wachstumsschmerzen

Die Probleme des Aufschwungs waren gekennzeichnet durch den chronischen Unterbestand im Pilotenkorps. Weil es nicht möglich war, den Piloten die wohlverdienten Ferien zuzuteilen, häufte sich eine Ferienschuld von 35 Mannjahren an. Einsätze wurden in einem unerträglichen Masse instabil, und die Vorgaben der alles dominierenden Netzwerkplanung waren kaum zu bewältigen. Crew-Planung, Einsatzleitstelle und Crew-Disposition boxten die Produktion als ausführende Organe durch. Der Graubereich des GAV wurde in aller Schärfe zugunsten der Swiss ausgelegt, und es herrschte wenig Konsensbereitschaft. Die Auswirkungen der starken Expansion, die das fliegende Personal zu tragen hatte, wurden als Wachstumsschmerzen betitelt. Die Piloten hatten vom Aufschwung nichts, ausser der Arbeit an den Grenzen der Legalität, des Mangels an Erholung und eines kaum planbaren Soziallebens.

Die heutige Situation vor der nächsten Expansionswelle präsentiert sich wie folgt:

  • Bereits jetzt herrscht ein hausgemachter Pilotenmangel (siehe Artikel «Pilot gesucht!» auf Seite 13).
  • Die Ferienschuld wächst nach einer kurzen Erholungsphase wieder und nähert sich der Marke von 30Mannjahren.
  • Die Netzwerkplanung reagiert weiterhin so schnell auf Marktveränderungen, dass die Bestandesplanung zur Makulatur wird.

Heute wissen wir, was es bedeutet, einen solchen Wachstumsschub verdauen zu müssen. Das wussten wir 2006 nicht. Welcher Pilot soll da motiviert sein, nach diesen Erfahrungen die Ochsentour weiterzumachen? Wie sollen die Piloten dazu motiviert werden, den Ausbau mitzutragen, wenn schon jetzt klar ist, dass die personellen Engpässe, die ihr Leben seit vier Jahren schwer machen, die nächsten Jahre bestehen bleiben?

Wie motiviert?

Bei diesen Fragen würde ein Motivationsforscher lautstark Einspruch erheben und eine Denkpause fordern. Denn es solle nicht die Diskussion darüber geführt werden, ob jemand für eine Handlung motiviert sei oder motiviert werden könne. Es stelle sich vielmehr die Frage, wie jemand motiviert sei. Also müsste man zunächst fragen: Stimmt unsere Motivation, um die Arbeit im Cockpit zu machen? Sind wir die richtigen Leute am richtigen Arbeitsplatz?

Bei diesen Fragen lohnt sich ein Blick auf die mehrstufige, sorgfältige Selektion, die am Anfang jeder Karriere in einem Swiss-Cockpit steht. Es ist klar, dass Pilotenanwärter bezüglich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten «auf Herz und Nieren» getestet werden. Bei der Selektion wird aber auch genau untersucht, wie sie motiviert sind und ob sie eine lebenslange Karriere im Cockpit zufrieden durchleben könnten. Das Selektionsteam wünscht sich Piloten, die durch Interesse und Neugier angetrieben werden. Sie sollen leistungsbereit und einsatzfreudig sein, initiativ handeln und am Arbeitsplatz Wohlbefinden ausstrahlen. Allerdings gehört, neben all der Abwechslung im Tagesgeschäft und dem unsteten Lebenswandel, beim «Absitzen» der weniger aufregenden Reiseflugstunden auch eine grosse Portion Monotonie-Resistenz dazu.

Um die Motivationsanforderungen erfüllen zu können, kommen zwei Faktoren direkt zum Tragen: erstens die Freude an der Arbeit. Dazu gehört schlicht und einfach die Freude am Fliegen, an der Arbeit im kleinen Team und an der Dienstleistung (Intrinsic Process Motivation). Der zweite Faktor bezieht sich eher auf die Einstellung zur Arbeit. Gemeint ist das Anspruchsniveau, an dem wir uns messen und an dem wir uns bei erreichtem Niveau erfreuen (Self-Concept-Internal Motivation). Die Latte, an der wir uns orientieren, wird von praktisch allen Punkten vorgegeben, die in den Qualifikationskriterien unter «Arbeitsund Führungsverhalten» und «Fliegerische Operation und Kenntnisse» zusammengefasst sind.


Gutes Arbeitsklima

Solcherart motiviert, lässt es sich bei der Swiss gut leben. Die Arbeit macht Spass, die Arbeit ist fordernd, man kann den hohen Ansprüchen aber auch genügen.

Das Arbeitsklima ist gut. Das Arbeitsgerät ist meist gut gewartet, und die Supportprozesse an der Front funktionieren mehrheitlich gut eingespielt. Es gibt nur wenige chronische Schwachstellen, über die man sich andauernd ärgern müsste. Die Zusammensetzung des Teams ändert sich kontinuierlich, und so gibt es auch wenig Gelegenheit, dass persönliche Empfindungen das Arbeitsklima beeinträchtigen.

Das Instruktorenteam arbeitet fair und liefert eine gute Beurteilung der gezeigten Leistung. Mit guten Qualifikationen lassen sich die Akzeptanz in der Flotte und der Status als guter Pilot innerhalb des Korps festigen. Diejenigen, die sich nach einer solchen Anerkennung sehnen (Self-Concept-External Motivation), fühlen sich dadurch motiviert.

Dank der guten Selektion sind wir tatsächlich die richtigen Leute am richtigen Arbeitsplatz – nicht nur was die mentalen und körperlichen Fähigkeiten betrifft, sondern auch wegen unserer Motivation.

Doch wie kann es sein, dass Mitarbeiter, die auch in Umfragen stets bestätigen, dass ihnen die Arbeit Spass macht, dennoch im Grundsatz unzufrieden sind und sich nicht wohlfühlen?

Lebenszufriedenheit

Dass das Betriebsklima und die Arbeitszufriedenheit in den letzten Jahren stark gelitten haben, ist kein Geheimnis. Das psychische Wohlbefinden ist laut Thomas Kieselbach, Leiter des Instituts für Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit an der Universität Bremen, von verschiedenen Bedingungen abhängig. Unbestritten gehören hierzu laut Kieselbach die Bereiche Familie, Partner, Freizeit und Freunde. Gerade in diesen Bereichen mussten die Piloten während der letzten Jahre die grössten Abstriche hinnehmen. Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit geriet aus dem Lot.

Die Begriffe Arbeitsund Lebenszufriedenheit als Indikatoren für Wohlbefinden sind sowohl in der Forschung zum Wohlbefinden als auch in der Arbeitsund Organisationspsychologie nicht eindeutig definiert. Kieselbach geht davon aus, dass die Gefühle und Erfahrungen im Arbeitsleben nicht nur die Arbeitszufriedenheit bestimmen, sondern auch die Lebenszufriedenheit beeinflussen. Diese trägt wiederum einen Anteil zum Wohlbefinden bei. Zur Veranschaulichung diene die Grafik 1.

Laut empirischen Untersuchungen korreliert Arbeitszufriedenheit mit allgemeiner Lebenszufriedenheit und gilt daher als arbeitsbezogene Komponente des Wohlbefindens. Allerdings muss hierbei laut Kieselbach betont werden, dass zu der Kategorie der «zufriedenen» Befragten auch diejenigen zählen, die an sich nicht zufrieden sind, aber ihre Arbeitssituation resignierend als «zufrieden» einschätzen.

Arbeitszufriedenheit

Dem Begriff der Arbeitszufriedenheit hat sich Agnes Bruggemann intensiv gewidmet. Ihre Forschungsergebnisse erschienen im gleichnamigen Buch (Agnes Bruggemann, Peter Grosskurth & Eberhard Ulich [1975]:

Arbeitszufriedenheit. Bern: Huber). Danach ist Arbeitszufriedenheit ein momentaner, emotionaler Zustand, der sich mit den Erfahrungen des Alltags stetig ändert. Im Grundsatz liegt ihm ein Vergleich der eigenen Ansprüche mit dem erfahrenen Umfeld zugrunde. Bruggemanns Verdienst liegt drin, dass sie als Erste den Begriff der Zufriedenheit als momentanen Zustand definiert hat, der sich im Lauf der Zeit stetig ändert und nicht statisch ist. Denn jede Veränderung im Arbeitsumfeld wird von uns wahrgenommen, bewertet und als Basis für eine neuerliche Bestimmung der Zufriedenheit hinzugezogen. Für die Piloten können diese Veränderungen in vielen Bereichen des Arbeitslebens und in kurzen Abständen stattfinden: Einsatzzeit und -dauer, Support der Schnittstellen, Umgang mit dem Personal, Zuverlässigkeit und technischer Zustand der Flugzeuge und so weiter. Dazu kommen – wie von Kieselbach oben postuliert – auch Bereiche, die einen direkten Einfluss auf das Sozialleben haben. Gerade bei der unregelmässigen Schichtarbeit der Piloten tragen die Verhältnisse bei der Planbarkeit und Stabilität des Soziallebens einen grossen Anteil an die Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit bei. Denn genauso wie der Arbeitgeber einen verlässlichen Mitarbeiter erwartet, haben die Partner und Kinder das Anrecht auf ein verlässliches Familienmitglied. Da das Pilotenleben im Monatsrhythmus von Einsatz zu Einsatz bestimmt wird, zeigt sich die von Bruggemann definierte Dynamik bei der Bestimmung der Zufriedenheit hier exemplarisch.

«Die Piloten hatten vom Aufschwung nichts ausser der Arbeit an den Grenzen der Legalität, des Mangels an Erholung und eines kaum planbaren Soziallebens.»

Pseudo-zufrieden oder resigniert

In der Grafik 2 sind die verschiedenen Möglichkeiten dargestellt, die sich aus dem Vergleich der eigenen Ansprüche (Soll) mit dem wahrgenommenen Zustand des Umfelds (Ist) ergeben können.

Der Soll-Ist-Vergleich teilt den Gemütszustand grund-sätzlich in «zufrieden» und «unzufrieden» auf. Die weitere Entwicklung des Zustands hängt einerseits davon ab, wie die Person mit ihrer Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit umgehen kann. Andererseits ist es auch ausschlaggebend, welche Möglichkeiten der Mitarbeiter hat, um etwas an der Situation verändern zu können.

Ist der Vergleich positiv – ist die aktuelle Wahrnehmung besser als der erwartete Zustand –, dann hat der zufriedene Mitarbeiter zwei Möglichkeiten, wie er sich verhalten kann:


Progressive Arbeitszufriedenheit

Entstehend aus einem grundsätzlich sehr hohen Zufriedenheitsstatus, erscheint diese Form manchmal als ihr genaues Gegenteil, weil sie mit einem stetigen Anstieg des Anspruchsniveaus verbunden ist. Als solches strebt der Mitarbeiter nach immer besseren Lösungen (progressiv) und erscheint in seiner nochmehrwollenden Haltung möglicherweise unzufrieden.

Stabilisierte Arbeitszufriedenheit

In diesem Fall hat der Arbeitende seine Situation als grundsätzlich befriedigend klassifiziert. Er entwickelt sein Anspruchsniveau weder wesentlich nach unten noch nach oben. Es ist zu vermuten, dass er sowohl als zufrieden erkannt werden kann und auch gute bis bestmögliche Leistungen erbringt.

Diffuse Unzufriedenheit

Der Arbeiter ist unzufrieden, weil sich seine Erwartungen an das betriebliche Umfeld nicht mit dem decken, was er erlebt. Er hat zwei grundsätzliche Möglichkeiten, zu reagieren: Er senkt sein Anspruchsniveau und resigniert, oder er hält sein Anspruchsniveau aufrecht. Wenn er sich für das Erste entscheidet, begibt er sich in die Resignation:

Resignative Arbeitszufriedenheit

Der Arbeitende, der die Arbeitssituation im Prinzip als nicht zufriedenstellend empfindet, löst diesen Konflikt – der ja auch in einer Kündigung münden könnte –, indem er sein Anspruchsniveau nach unten korrigiert. Der erneute Soll-Ist-Vergleich kann nun, da das Erwartungsniveau niedriger wurde, als zufriedenstellend wahrgenommen werden.

Laut André Büssing, ehemaliger Ordinarius am Lehrstuhl für Psychologie an der Technischen Universität München, sind auch an überwiegend negativen Arbeitsplätzen die Kündigung und die völlige Resignation Extrema und Endpunkte in der Wechselbeziehung von Arbeitnehmer und Arbeitstätigkeit. Nach seiner Auffassung stellen eine partielle Verleugnung und Anpassung an negative Arbeitsverhältnisse eher die Regel dar.

Mit dem Erhalt des Anspruchsniveaus ergeben sich drei Möglichkeiten, mit der Unzufriedenheit umzugehen:

Pseudo-Arbeitszufriedenheit

Unzufriedene Mitarbeiter können ihre mangelnde Bereitschaft, Konsequenzen zu ziehen – wie zum Beispiel zu kündigen –, auch darüber kompensieren, dass sie die Wahrnehmung der Realität verzerren. So werden zum Beispiel verschiedene Aspekte umbewertet. Sätze wie «Das ist ja gar nicht so schlimm, wichtig, etc.» oder «Im Grunde verdiene ich ja viel besser als…» sind dann zu hören.

Da die Aspekte der Arbeitssituation aufgewertet wurden, entsteht im erneuten Soll-Ist-Vergleich am Ende eine zufriedenstellende Gesamtbewertung. Dafür wird die annähernd objektive Wirklichkeitswahrnehmung geopfert.

Fixierte Arbeitsunzufriedenheit

Der Mitarbeiter ist schlicht und einfach unzufrieden. Er tut nichts dafür oder dagegen. Seine Situation erscheint ihm unbefriedigend, aber Problemlösungsversuche unternimmt er nicht – sei es, weil er nichts ändern kann oder dass ihm die Energie dazu fehlt. Es ist davon auszugehen, dass er sich selbst als unzufrieden bezeichnen würde.

Konstruktive Arbeitsunzufriedenheit

Aus dem Gefühl der Unzufriedenheit heraus versucht der Mitarbeiter in dieser Situation, konstruktive Verbesserungsvorschläge zu machen. Seine Lösungsversuche streben eine Erhöhung des Ist-Werts an. Er ist danach bestrebt, das Arbeitsumfeld seinen Vorstellungen entsprechend zu verbessern.

Laut Kieselbach tut sich die empirische Praxis trotz zahlreicher Versuche schwer, die differenzierten Formen exakt zu diagnostizieren. Gerade die Pole verdeutlichen diese Schwierigkeit. Es mag schwerfallen, den progressiv Zufriedenen vom konstruktiv Unzufriedenen zu unterscheiden. Denn beide kritisieren ihre Situation und streben nach Verbesserungen.

Zufrieden dank Kündigung

In den obigen Schilderungen taucht als Lösungsbeispiel auf, bei Unzufriedenheit zu kündigen. Auch bei der Swiss hört man diese Aufforderung in emotionalen Gesprächen hin und wieder: «Wenn ihr glaubt, dass es bei der Lufthansa besser ist, dann geht doch dahin!»

Doris Lutz stellt in ihrer Lizenziatsarbeit an der Universität Bern über Mitarbeiterzufriedenheit allerdings fest, dass Arbeitsunzufriedenheit und Fluktuation nicht direkt korrelieren. Das könne damit begründet werden, dass die Fluktuationsrate, neben emotionalen Prozessen, zusätzlich durch andere Bedingungen wie beispielsweise die Arbeitsmarktlage oder die wirtschaftliche Konjunkturlage beeinflusst werden kann. In Zeiten steigender oder hoher Arbeitslosigkeit sei tendenziell eine tiefere Fluktuationsrate zu erwarten. Die Arbeitnehmenden haben es nach dem Verlassen einer Organisation dann in der Regel schwerer, einen vergleichbaren beziehungsweise subjektiv besseren Arbeitsplatz zu finden. Folglich kann die Fluktuationsrate im Hinblick auf die Arbeits(un-)zufriedenheit bestenfalls als Indikator gewertet werden.

Für die Piloten der grossen europäischen Airlines besteht zudem die «Kündigungshürde», weil es für sie keinen freien Arbeitsmarkt gibt. Bei diesen Gesellschaften regelt die sogenannte Senioritätsliste die Pilotenlaufbahn. Wer die benötigten Qualifikationen mitbringt und eine Anstellung bekommen hat, wird als Letzter in die Liste aufgenommen und rückt im Lauf der Jahre langsam nach oben. Dafür kann er sich dann ganz auf die Arbeit konzentrieren und muss nicht nebenbei noch im Hierarchiegerangel um die Erhaltung seines Stuhls und um die Beschleunigung seiner Karriere kämpfen. Nicht zuletzt aus Überlegungen der Flugsicherheit ist dieses Prinzip fest verankert.

Gerade in den letzten Jahren haben sich einige Berufs-piloten für einen Wechsel zur Swiss entscheiden, weil sie hier die Karrieremöglichkeit einer grossen Airline mit dem Wechsel von der Kurzauf die Langstrecke und mit einem Upgrading haben. Dafür zahlen sie aber den Preis des Wiedereinstiegs am unteren Ende der Senioritätsliste. Ein Langstrecken-Captain wird keine Anstellung in der gleichen Position finden, sondern allenfalls als First Officer auf einem kleineren Flugzeugtyp eingestellt.

Das Pilotenmotto «You never leave a major airline» hat darum auch eine grössere Bedeutung und Gültigkeit als der enervierte Ausspruch «Dann geh doch, wenn es dir nicht passt!».

«In den Bereichen Familie, Partner, Freizeit und Freunde mussten die Piloten während der letzten Jahre die grössten Abstriche hinnehmen.»

In einem wohl längst vergessenen Kurs über die inneren Vorgänge einer Unternehmung wurden wir in der den «Typologiepfad der Arbeitszufriedenheit» von Bruggemann wohl im Kästchen für die f Besser, weil zufrieden

Die geschilderten Missstände der letzten Jahre drücken auf die Arbeitsmoral der Cockpit-Besatzungen bei der Swiss. Es zeigt sich einerseits, dass nicht die eigentliche Arbeit das Problem ist. Piloten sind bestens ausgewählte Individuen und intrinsisch für ihre Arbeit motiviert. Der frühere Chef des Selektionsdienstes der Swissair meinte damals sogar mit einem Lächeln, dass «seine» Piloten besser ausgewählt seien als manch stolzer Manager.

Andererseits sind wir an unseren Arbeitgeber gebunden, und wir können auch das betriebliche Umfeld, das uns das Leben schwer macht, nicht selber verändern. Unser Sozialleben wird von verschiedenen Stellen direkt beeinflusst, ohne dass wir darauf einen direkten Einfluss hätten. Damit endet für viele der Weg durch den «Typologiepfad der Arbeitszufriedenheit» von Bruggemann wohl im Kästchen für die fixierte Unzu- friedenheit – oder gar bei der resignativen oder Pseudo- Zufriedenheit. Alle drei sind Zustände, die für einen Arbeitgeber auf Dauer unhaltbar sind. Denn immerhin handelt es sich bei der Swiss nicht um einen Produkti- onsbetrieb, bei dem im schlimmsten Fall die Menge an Ausschuss ansteigt.

Kieselbach ist überzeugt, dass die Steigerung der Arbeitszufriedenheit und des Wohlbefindens nicht nur dem Individuum, sondern auch den Organisatio- nen dient, die ökonomischen Prinzipien unterworfen sind. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass zufriedene, sich wohlfühlende Menschen mehr leisten können. Auch Andrea Abele-Brehm, die Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialpsychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, meint: «Jetzt und noch viel mehr in der Zukunft wird die Bedeutung für jede Organisati- onsführung steigen, inwiefern das Wohlbefinden ihrer Mitglieder bzw. der arbeitenden Menschen gefördert werden kann, da dies aus ökonomischen Beweggrün- den notwendig ist.» Bei ihren Untersuchungen fand sie zahlreiche Belege für positive Auswirkungen von Wohl- befinden auf das Denken und Handeln eines Menschen im Allgemeinen:

  • Anstrengungsbereitschaft und Partizipation steigen.
  • Soziales Handeln und zwischenmenschliche Beziehungen werden intensiviert.
  • Positive Aspekte der Situation werden eher wahrgenommen.
  • Positive Gedächtnisinhalte werden eher erinnert, und die Gedächtnisspeicherung passiert eher in positiver Selektion.
  • Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl sowie die Beurteilung anderer bzw. die Interaktion mit anderen Personen sind positiv beeinflusst.
  • Kreativität, Problemlösungskompetenz und Leistung steigen oftmals.

Zufrieden in die Zukunft

Gerade in einem Dienstleistungsunternehmen, bei dem auf höchstem Niveau und in einer sicherheitskritischen Branche gearbeitet wird, sind diese Zusammenhänge relevant und dürfen nicht einfach ignoriert werden. Lutz stellt in ihrem Forschungsbericht über Arbeitszufriedenheit in der Dienstleistungsbranche klar: «Der Erfolgsfaktor ‹Dienstleistungsqualität› wird dabei entscheidend durch die Mitarbeitenden geprägt, denn diese stehen in direktem Kundenkontakt. Die unmittelbaren Interaktionen zwischen Mitarbeitenden und Kunden stellen dabei neue Aufgaben an das Management, weil die Kundenzufriedenheit in direktem Zusammenhang mit der Leistungsqualität der Mitarbeitenden steht.»

In einem wohl längst vergessenen Kurs über die inneren Vorgänge einer Unternehmung wurden wir in der Swissair unter dem Titel «Total Quality Leadership» dazu aufgefordert, auch die Ansprechpartner von internen Supportstellen als Kunden zu betrachten. Schon nur aus diesem Blickwinkel könnte sich eine Firma mit Mitarbeitern, die sich wohlfühlen, eine Menge Kosten sparen.

Für uns Piloten geht es in den nächsten Monaten um weit mehr. Es bietet sich die Chance, bei der Abstimmung zum neuen GAV Einfluss auf unsere Arbeitsbedingungen und damit auf unsere Arbeitszufriedenheit Einfluss zu nehmen – eine Möglichkeit, die wir sonst als Angestellte, die in einem streng reglementierten Umfeld einen Flugplan abfliegen, nicht oft haben. Wir wissen auch, dass wir vor der nächsten grossen expansiven Phase stehen.

Mehrere Gründe sprechen also dafür, dem Vorstand bei den jetzigen Vertragsverhandlungen den Rücken zu stärken:

  • Als Dienstleister sind wir unseren Kunden verpflichtet und wollen unter guten Bedingungen gute Arbeit leisten.
  • Wir müssen jetzt für Arbeitsbedingungen kämpfen, die es uns ermöglichen, die nächste Expansion sozialverträglich zu überstehen.
  • Wir haben jetzt die Möglichkeit, aus der resignativen oder der Pseudo-Zufriedenheit auszubrechen und die fixierte in eine konstruktive Unzufriedenheit umzuwandeln.

Einen zweiten «Hosenlupf» wie den Flottenausbau 2007 bis 2009 will wohl niemand ein zweites Mal erleben.

Die fünf Motivationstypen nach John R. Barbuto

Die menschliche Motivation wurde seit der Industrialisierung aus vielen verschiedenen Winkeln beleuchtet: Psychologisch, mit Blick auf die Erwartungshaltung, bedürfnisorientiert, intrinsisch, mit Bezug zur sozialen Identität oder dem inneren Selbstverständnis, wertebasiert oder zielorientiert. Viele namhafte Wissenschaftler wie Jung, Maslow, Herzberg, McClelland oder Deci haben sich damit befasst. John R. Barbuto versucht an der Universität Nebraska seit mehreren Jahren, eine übergeordnete Definition von Motivationsmustern zu entwickeln. Er postuliert dazu fünf Typen:

Intrinsic Process Motivation (von innen kommende Prozessmotivation): Eine Person nimmt eine Tätigkeit auf oder befasst sich mit etwas, einfach, weil es ihr Spass macht. Der eigentliche Arbeitsprozess oder die Beschäftigung lösen die innere (intrinsische) Motivation aus. Wir fliegen gerne, weil es uns Spass macht. Wir brauchen dazu keine weiteren Anreize.

Self-Concept-Internal Motivation (internes Selbstverständnis): Eine Person orientiert sich an internen Standards, Massstäben und Kompetenzen. Sie nimmt eine Idealvorstellung als Leitlinie ihrer Handlungen. Die Person ist motiviert, sich an diesen Werten zu messen, sie zu erreichen und daran zu wachsen. Wenn in der Piloten-Qualifikation vom Anspruchsniveau die Rede ist, dann wird diese Motivation angesprochen. Jeder Pilot hat eine Messlatte, an der er seine Ansprüche misst.

Self-Concept-External Motivation (externes Selbstverständnis): Eine Person nimmt Standards, Massstäbe und Kompetenzen als Leitlinie seines Handels, mit denen er sich in einer Referenzgruppe zuerst Achtung und anschliessend einen Status verschaffen kann. Ein Pilot hat wenig Gelegenheit, derart motiviert im heutigen Umfeld glücklich zu werden. Einerseits hat das Image des Piloten in der Gesellschaft nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher. Andererseits ist er bei den meisten grösseren Airlines unter seinesgleichen, wo auch die Senioritätsliste seinen Platz definiert. Die Annahme zusätzlicher Aufgaben, zum Beispiel in der Instruktion oder in Linienstellen, könnten ihn in diesen kleineren Referenzgruppen motivieren.

Instrumental Motivation (instrumentelle Motivation): Eine Person wird mit der Aussicht auf greifbare oder konkrete Ergebnisse, Belohnungen oder Vorteile motiviert. Was beispielsweise als typischer Köder bei Zielvereinbarungen eingesetzt wird, birgt die grosse Gefahr, damit die intrinsische Prozessmotivation zu unterminieren. Nur verbale Belobigungen, die unerwartet und rein informativ gegeben werden, erhöhen die intrinsische Motivation.

Goal Internalization Motivation (Verinnerlichung von Zielen): Eine Person übernimmt Meinungen, Standpunkte und Verhalten, weil sie seinem Wertesystem entsprechen. Der Arbeiter glaubt an die Sache, entwickelt ein starkes Pflichtbewusstsein und ist damit motiviert, sie für die Ziele der Unternehmung einzusetzen. Der Unterschied zu den erstgenannten vier Motivationsquellen besteht darin, dass hier kein Eigennutz besteht.


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