Verfasst von: aeropersredaktion | 22/12/2010

Arbeitskampf in Europa

Auch heute wieder ein Beitrag aus der Rundschau 4/2010:

Als Gegengewicht zum Arbeitgeber haben sich die Arbeitnehmer in Gewerkschaften und Verei- nen zusammengeschlossen. Um dem Druck des Managements standhalten zu können, greifen die Arbeitnehmer teilweise auch zu unpopulären Massnahmen.

Text: Tobias Mattle

Arbeitskampf ist ein Thema, das die Medien in Europa in den letzten Monaten beherrscht. Überall gehen die Menschen auf die Strasse und demonstrieren gegen die Sparmassnahmen, die der Staat der Bevölkerung aufzwängt. Es vergeht kaum eine Woche, in der wir im Cockpit nicht in Kontakt mit Kampfmassnahmen kommen. Wir spüren die Folgen eines Streiks der Fluglotsen, des Nahverkehrs oder der Bodenmitarbeiter in Form von Verspätungen, genervten Passagieren oder gar der Streichung eines gesamten Fluges. Manchmal bringen wir mehr Verständnis dafür auf, manchmal weniger.

Die Geschichte des Arbeitskampfes

Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass der Arbeitskampf ein Mittel der modernen Arbeitnehmerschaft ist und man früher den Arbeitgebern gegenüber zu völligem Gehorsam verpflichtet war. Doch schon vor über 3000 Jahren wurde im alten Ägypten die Arbeit bei ausbleibendem Lohn niedergelegt. Die Gürtlergesellen der Stadt Breslau sind sogar für das ganze Jahr 1329 in den Ausstand getreten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen die Zahl von Arbeitskampfmassnahmen und deren Organisationsgrad stetig zu. Errungenschaften wie die Lohnfortzahlung bei Krankheit haben wir einer starken Arbeitnehmerschaft zu verdanken, die Probleme erkannt und sich dafür eingesetzt hat.

Volkswirtschaftlicher Hintergrund

Die Schweiz definiert sich über ihre Neutralität, die auch die internationale Wahrnehmung unseres Landes prägt. Eine andere Eigenart ist der Arbeitsfrieden, der in einigen Wirtschaftszweigen im Gesetz verankert ist. So gilt offiziell seit 1937 für die Maschinenund Metallindustrie in der Schweiz die Friedenspflicht. Dies bedeutet, dass während der Laufzeit eines Gesamtarbeitsvertrags keine Streikmassnahmen ergriffen werden dürfen. Zur Schlichtung von streitbaren Themen werden Einigungsämter eingesetzt.

Das historische Lexikon der Schweiz verweist auf die identitätsstiftende Wirkung des Arbeitsfriedens. So wird nicht selten im privaten Gespräch auf die lange Tradition des friedlichen Gebens und Nehmens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Schweiz hingewiesen. Aus dieser Tradition wird meistens voreilig auf den allgemein hohen Wohlstand in der Schweiz geschlossen. Ein Zusammenhang zwischen Wohlstand und Arbeitsfrieden konnte aber empirisch nie festgehalten werden. Im Gegenteil: die Schweiz schneidet beim Wachstum des Bruttosozialprodukts in den letzten 50 Jahren gegenüber weit streikfreudigeren OECDLändern schlechter ab. Weiter meint Bernard Degen im historischen Lexikon der Schweiz: «Dies ist weiter nicht erstaunlich, lag doch der volkswirtschaftliche Verlust durch Kampfmassnahmen auch dort in der Regel nicht einmal im Promille-Bereich.»

Unser nördlicher Nachbar Deutschland, Geburtsstätte der Gewerkschaftsbewegung, ist überraschend streikfaul. In Deutschland gehen von 1000 Arbeitstagen fünf durch Streik verloren – in der Schweiz sind es vier. Weitaus kämpferischer sind Volkswirtschaften wie Spanien mit 165 oder Kanada mit 152 Arbeitstagen.

Ein Blick zum Mutterkonzern

«Ab Montag herrscht an Flughäfen das Chaos», meldete der «Spiegel» in seiner Online-Ausgabe im Februar 2010 in Bezug auf den Lufthansa-Piloten-Streik. Die Lufthansa schätze den durch den Streik ausgelösten Verlust auf 25 Millionen Euro pro Tag. Der Imageschaden wog neben dem finanziellen Verlust mindestens ebenso stark. Die Deutsche Lufthansa hat in der öffentlichen Meinung unter dem Streik stark gelitten.

Der Kernpunkt des Konflikts war die Auslagerung von Arbeitsplätzen zu Firmen im Ausland, die kostengünstiger arbeiten und so die Arbeitsplätze in Deutschland unter Druck setzen. Auf der Website der Vereinigung Cockpit ist zu lesen: «Diese derzeit bestehende Sicherungsvereinbarung schreibt vor, dass unter der Dachmarke Lufthansa auf Passagierflugzeugen mit mehr als 70 Sitzen nur Mitarbeiter eingesetzt werden, die unter den Geltungsbereich des Konzerntarifvertrages fallen.» Die Lufthansa-Piloten waren besorgt, dass ausländische Airlines schleichend die europäischen Flugrouten der Lufthansa übernehmen. Die hohen Kosten und der starke Wettbewerb durch Billig-Airlines machen es der Lufthansa immer schwerer, das Europa-Geschäft in den schwarzen Zahlen zu halten. Die Lösung der Manager: Im Ausland Airlines aufbauen, die diesem starken Druck in Europa standhalten können.

Bei der Sichtung der Pressemitteilungen beider Vertragspartner fällt auf, dass teilweise an den Grenzen der Vernunft kommuniziert wurde. Beide Vertragspartner melden auf der eigenen Website, dass sie zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit sind. Gleichzeitig werfen sie dem jeweils anderen Sozialpartner vor, Vorbedingungen zu stellen, die unerfüllbar seien. Aufgrund dieser schlechten Ausgangslage kam es garnicht erst zu Verhandlungen, sondern die Zeit bis zum Streik verstrich ergebnislos. Das Management wusste sich nur dadurch zu helfen, den Streik vom Gericht als unverhältnismässig erklären zu lassen. Erst vor der Richterin konnten sich beide Parteien darauf einigen, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und eine Schlichtungskommission einzusetzen.

Das Ergebnis, das rund vier Monate später von beiden Seiten angenommen wurde, fand in der Presse dagegen kaum Erwähnung. Mit grosser Mehrheit stimmten die Piloten der Vereinigung Cockpit dafür, dass ihre Löhne bis zum 31. März 2011 nicht verändert werden. Im Gegenzug dafür erhielten sie die Zusicherung, dass die 70-Passagier-Sitzregelung zwar neu auf 95 Sitze erhöht, jedoch nicht ganz aufgegeben wird. Die grosse Zustimmung durch die Piloten darf als Erfolg gewertet werden. Auch wenn viele Zugeständnisse gemacht wurden, wurde dem Kernpunkt der Forderung nach Arbeitsplatzsicherung in Deutschland Genüge getan.

Wenn man trotzdem arbeiten geht

Im Frühjahr titelte der «Tages-Anzeiger»: «Streikbrecher: Wenn Manager ins Cockpit steigen». Michael Knitter, Senior Vice President Operations bei Germanwings und Leiter des Krisenstabes im Zusammenhang mit dem Lufthansa-Streik, übernahm am Streiktag mehrere Flüge. Knitter fliegt regulär als Pilot bei Germanwings, arbeitet jedoch im Management. So kommt er monatlich nur auf wenige Stunden Flugzeit. Am Streiktag übernahm er dann kurzerhand den Dienstplan eines Lufthansa-Kollegen, der sich am Streik beteiligte.

Auch wenn der Artikel des «Tages-Anzeigers» etwas irreführend ist, muss man sich mit der Thematik des Streikbrechers auseinandersetzen. Grundsätzlich wird einerseits zwischen Streikbrechern aus den eigenen Reihen unterschieden, die am Streiktag trotz Weisung der Gewerkschaft arbeiten gehen. Andererseits werden Streikbrecher von der Firma angestellt, um den Schaden eines Streiks zu minimieren. Bei unqualifizierter Arbeit kommen hier oft Leiharbeiter zum Einsatz, die nach kurzer Einweisung in die Arbeit bereits produktiv sind. Es ist selbstverständlich, dass dies im Cockpit einer grossen Airline wie der Lufthansa nicht möglich ist.

In der «Rundschau»-Ausgabe 2/2010 sind von Jörg Handwerg, Vorstandsmitglied der Vereinigung Cockpit, klare Worte zu lesen: «Wir werden uns mit den Streikbrechern, deren Namen wir selbstverständlich kennen, nach dem Ende des Konfliktes beschäftigen und jeden Fall genau betrachten.»

Denn der Streikbrecher, der sich zuvor für einen Streik ausgesprochen hat, schadet seinen Arbeitskollegen gleich in mehrfacher Hinsicht. Er vermindert die wirtschaftliche Wirkung des Streiks und gibt dem Management das Signal, dass die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind. Zudem fehlt er an vorderster Front, denn nur eine grosse Anzahl Streikender ist auch medienwirksam.

«Ein Zusammenhang zwischen Wohlstand und Arbeitsfrieden konnte nie festgehalten werden.»

Die Rolle der Medien

Jörg Handwerg stellt die Position der Vereinigung Cockpit so vor: «Die Presse sehen wir zwar als wichtiges, aber nicht ‹kriegsentscheidendes› Instrument an. Tarifabschlüsse werden am Tariftisch gemacht und nicht in den Medien.» Im Arbeitskampf haben die Medien aber sicher eine bedeutende Stellung. Natürlich kann die Presse keine Entscheidungen des Managements treffen. Trotzdem darf die psychische Belastung während eines Streiks nicht unterschätzt werden. Der Druck, der auf den Streikenden lastet, ist gross. Das soziale Umfeld, die Öffentlichkeit und schliesslich sogar die Arbeitskollegen können durch Unverständnis Zweifel über die eigenen Beweggründe aufkommen lassen. Daher ist es wichtig, möglichst alle Ressourcen zu nutzen, um den Druck abzubauen. Und dazu gehört auch die Presse, die gut und vor allem richtig informiert werden soll. Als Beispiel gilt der Lufthansa-Streik im Frühjahr. Obwohl die Piloten bereit waren, für eine Arbeitsplatzgarantie auf eine Lohnerhöhung zu verzichten, wurde in der Öffentlichkeit sehr oft über Lohnforderungen der Piloten debattiert. Die Meinung in der Gesellschaft war dann schnell gemacht: Gut bezahlte Piloten fordern in der Wirtschaftskrise mehr Lohn. Das eigentliche Thema, die Arbeitsplatzgarantie, wurde oft nur am Rande erwähnt.

Genauso gross, wie der Druck der Öffentlichkeit auf die Streikenden ist, kann der Druck auf das Management sein. Auch wenn Preis und Leistung zweifellos über den Kauf einer Dienstleistung entscheiden, spielt die soziale Verpflichtung des Kunden eine Rolle. Beim Kauf lässt sich der Kunde unbewusst auch davon leiten, wie er die soziale Verantwortung der Firma einschätzt. Da der Kunde kaum die Möglichkeit hat, die Firma aus eigenen Erfahrungen zu bewerten, greift er auf die Meinung der Medien zurück.

Gleichzeitig verstärken die Medien die Wirksamkeit eines Streiks oder eines Warnstreiks, ganz besonders bei Dienstleistungsunternehmen wie der Lufthansa. Durch einen Streik fallen nicht nur Flüge aus. Oft weitreichender sind die Sorgen der Kunden, die auf mehrere Monate hinaus einen erneuten Arbeitskampf vermuten und dadurch zum Angebot

der Konkurrenz wechseln.

Common Sense

Schaden in Millionenhöhe, Imageverlust beider Vertragspartner und hohe psychische Belastung stehen dem möglichen Erfolg, den eigenen Forderungen durch einen Streik zum Erfolg zu verhelfen, gegenüber. Wichtig ist, dass die Vernunft jederzeit die Gefühle leitet. Die Lufthansa-Piloten waren grossem Druck ausgesetzt. Die Meinung in der Gesellschaft war schnell gemacht, da die Presse oftmals falsch oder unvollständig berichtet hat. Genau deshalb ist es wichtig, dass ein Streik gut organisiert ist. Nur dadurch kann dem Druck von aussen gemeinsam standgehalten werden. Genau darin lag die Stärke der Vereinigung Cockpit, als sie Anfang des Jahres für eine gesicherte Zukunft ihrer Arbeitsplätze einstand. «Der ganze Anlass war gut geführt und zeigte eine enorme Solidarität der Mitglieder. Um eine solche Organisation betreiben zu können, braucht es absolute Unterstützung aus dem Korps», bestätigt Markus Grob in der «Rundschau»-Ausgabe 2/2010 die Leistung der Vereinigung Cockpit.

Das Wichtigste überhaupt ist und bleibt aber die Vernunft. Als Piloten stehen wir für eine professionelle Arbeit und für einen hohen Grad an Disziplin und Vernunft. Darauf mussten sich die Lufthansa-Piloten auch während ihres Streiks besinnen. Dies hat schliesslich zu einem Erfolg geführt, der sowohl für die Lufthansa wie auch für die Piloten akzeptabel war.


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