Verfasst von: aeropersredaktion | 14/09/2011

Was Manager von Piloten lernen können

Am 25. August berichtete die HandelsZeitung im Management-Teil unter dem Titel „Wie die Feuerwehr“ über Ansätze zum Schutz vor neuen Gefahren. Es brauche Verstand und Intuition statt Checklisten. Unter dem Artikel gab es dann noch einen Kasten, der uns besonders freute, weil unter dem Stichwort „Zuverlässigkeit“ erklärt wurde, was Manager von Piloten lernen können.

Hier die Artikel im Wortlaut:

Wie die Feuerwehr

© HandelsZeitung

Zum Schutz vor neuen Gefahren müssen Firmen umdenken-es braucht Verstand und Intuition statt Checklisten.

Früher war Christoph Oschwald Offizier bei der Luftwaffe. Heute ist er Unternehmer. Zwei Bunker mietete er im Berner Oberland. Gemeinsam mit seinem Partner Hanspeter Baumann verkauft er Sicherheit und Zuverlässigkeit. Ängstliche Kunden können in den Tunnels unter dem Berg ihre Daten aufbewahren. Für Abertausende von Dossiers, Käuferkarteien und Strategiepapieren hat Oschwald Serverfarmen in die Bunker gestellt. Tonnenschwere Türen schützen das wertvolle Material. „Anschläge, Erdbeben, grosse Unwetter, elektromagnetische Strahlung“, vor all dem brauchen sich die Kunden der Firma Mount 10 keine Sorgen mehr zu machen. Vielleicht können Unternehmer und Manager heutzutage beim Agendapunkt „Informatik-Sicherheit“ tatsächlich ein Erledigt-Häkchen machen. Aber eine ganze Reihe anderer Alltagsrisiken bedroht sie weiter. Der Industrie etwa steckt der Japan-Schock von Anfang März in den Knochen. „Quasi über Nacht waren sicher geglaubte Lieferketten gefährdet“, beschreibt dies Unternehmensberater Gerd Kerkhoff, der an der Universität St. Gallen Supply Chain Management lehrt.

Jeden Tag Ausnahmezustand

Auch andere Risiken wirken bedrohlich. Schon beim blossen Erwähnen der Buchstaben „Ehec“ bekommt mancher Manager der Lebensmittelindustrie Schweissperlen auf der Stirn. Denn gegen Widernisse dieses Typs helfen auch die Datenbunker nahe Gstaad mit ihren tonnenschweren Schutzpanzern nichts.

Für die durch gefühlte Unsicherheit gequälten Unternehmer ist Abhilfe in Sicht. Die High Reliability Organization oder kurz HRO (Hochzuverlässigkeits-Organisation) ist ein neues Managementkonzept, das vor Bedrohungen schützen soll. Zwei Professoren an der University of Michigan haben mit dem System Empfehlungen für eine Welt entwickelt, die seit dem Kollaps des Bankhauses Lehman Brothers von Schock zu Schock torkelt.

Kern der Idee von Kathleen Sutcliffe und Karl Weick: Unternehmen können von Organisationen lernen, in denen jeden Tag der Ausnahmezustand herrscht. „Feuerwehren, die Notaufnahme im Krankenhaus oder die Besatzungen von Flugzeugträgern müssen trotz Stress und grösster Unsicherheit zuverlässig arbeiten“, so lautet die Botschaft der beiden Wissenschaftler. Sie haben über Jahre hinweg untersucht, wie diese Hochzuverlässigkeits-Organisationen selbst unter grössten Turbulenzen ein Ergebnis mit null Fehlern schaffen.

Die wichtigste Einsicht: Jede Krise, jeder Schock hat Vorboten, jedes Beben einVorbeben. Jene kleinen, manchmal kaum fühlbaren Signale werden von den meisten Unternehmen jedoch übersehen. Aber Firmen, welche die Regeln des HRO-Systems anwenden, können lernen, die kleinen Krisen so zeitig zu erkennen, dass die grosse Krise gar nicht auftritt, zumindest aber besser gemeistert werden kann. „Genauer hinschauen, genauer hinhören, die richtigen Fragen stellen“, beschreibt Annette Gebauer, Inhaberin der Beratung Interventions for Corporate Learning und HRO-Praktikerin in Berlin, den Kern dieser neuen Denkweise.

Die Empfehlung ist eigentlich einfach umsetzbar-wäre da nicht ein Hindernis, das sich in vielen Organisationen eingenistet hat: Die Checkliste. Dieses Instrument ist gut für Routine-Krisen. Aber für Unerwartetes reicht es nicht. Wenn die Lehman-Krise Finanzmärkte durchrüttelt, die brennende BP-Bohrinsel im Golf von Mexiko binnen Tagen Ölpreise hochtreibt, Aschewolken am Himmel die Globalisierung teilweise zum Erliegen bringen oder die unerwartete Frankenstärke den Export ins Ausland lahmlegt, lässt sich das nicht mit einer Checkliste managen. „Sie fixiert den Blick zu sehr auf das, was gestern erwartet wurde“, kritisiert Elvira Porroni, Geschäftsführerin der Zürcher X-Challenge Consulting, die engen Grenzen dieses Werkzeugs, „die Checkliste schafft Scheinsicherheit.“ Der Grund: Weil sich jeder darauf verlässt, dass alles schon geregelt ist, gibt sich keiner mehr Mühe beim Blick auf das, was wirklich passiert.

Das Votum der HRO-Praktikerin Porroni ist deshalb klar: Zwar könne man ein vorhersehbares Ereignis wie einen Produktrückruf mit einer Liste von zehn Regeln in den Griff bekommen. Aber für die neuen, unbekannten Risiken taugt die Abhak-Agenda nichts. „Eine Checkliste steht der Lösung im Weg, sie behindert die Freiheit des Denkens.“

Um das Ziel „Zuverlässigkeit“ auch in turbulenten Zeiten zu erreichen, braucht es etwas anderes. Und zwar etwas völlig Unspektakuläres, etwas derart Logisches und Naheliegendes, dass es konstant übersehen wird: „Aufmerksam sein, Wachsamkeit üben, darin nie nachlassen“, formuliert Professorin Sutcliffe in einem ihrer Video-Seminare die zentrale HRO-Regel.

Sehen, hören, fühlen, riechen

So, wie das Kaninchen ständig auf der Hut vor dem gefrässigen Fuchs ist, sollten auch Manager sensibel für Bedrohliches aus der Umwelt sein. Dafür ist eine Disziplin wichtig, die den Insassen vieler Büros fremd ist: „Nicht nur Berichte und Tabellen lesen, sondern die eigene Wahrnehmung einsetzen. Sehen, hören, fühlen, riechen“, sagt Beraterin Gebauer. Denn aus den kleinen, selbst wahrgenommenen Beobachtungen lassen sich frühzeitig Rückschlüsse auf künftige Risiken ziehen.

Freilich braucht es dazu Umsicht statt der oft im Management üblichen Hetze. Das HRO-System fordert deshalb explizit dazu auf, das Tempo ein wenig zurückzudrehen: „Keine schnellen Vereinfachungen zulassen, umsichtige und durchdachte Schlüsse aus den Fakten ziehen“, diesen Rat erteilen Berater wie Evita Porroni ihren Kunden. Auf keinen Fall solle man sich auf das beliebte „So haben wir das schon immer gemacht“ verlassen. Denn oft genug passt diese Einstellung nicht auf eine gerade eingetretene, neue Situation. Der Praktiker Hans Albert Bystron bestätigt diese Empfehlung. „Sauber schlussfolgern gehört zu den wichtigsten Bausteinen der hochzuverlässigen Organisation“, sagt der Produktionsleiter beim Chemikalienhersteller Sabic Polyolefine. Vorschnelle Deutungen der Fakten seien nicht erlaubt. „Jede kleine Abweichung kann schwerwiegende Folgen haben“, sagt der Fertigungsmann. Deshalb dürfe nichts geschönt oder im Sinne eines Plans passend gemacht werden. Niemand solle sich mit einem „Ach, das läuft dann schon“ zufriedengeben.

Viel wichtiger ist es, Vorkehrungen für jene Tage zu treffen, an denen nichts mehr rund läuft. Dann hilft es, ganz trivial, eine zweite Maschine als Ersatz zu haben oder eine zweite Bezugsquelle, wenn die erste überraschend ausfällt. „Gezielt Redundanz schaffen“, diese Empfehlung gibt das HRO-Konzept an die Praktiker-und stellt damit in einem weiteren Punkt die gängigen Management-Weisheiten auf den Kopf. Denn Redundanz war über viele Jahre Lieblingsfeind von Top-Managern und Beratern. Sie hatten sich darangemacht, Puffer in Prozessen auszumerzen. „Aber wer nur an Effizienz denkt, setzt die Zuverlässigkeit aufs Spiel“, warnt Beraterin Porroni. Das HRO-Konzept zeigt, dass eine Reserve keine verlorene Investition ist, die nur Geld kostet-sondern eine Vorkehrung für Sicherheit von morgen.

Eine Checkliste behindert die Freiheit des Denkens.

© HandelsZeitung

Zuverlässigkeit

Was Manager von Piloten lernen können

Reagieren können Der Berufspilot und Management-Trainer hat die Abstürze von Passagierjets der letzten 30 Jahre ausgewertet. Aus der Analyse können auch Unternehmen lernen: Vorwurfskultur abschaffen: Tritt ein Fehler auf, suchen die Unternehmen jemanden, den sie bestrafen können. Das führt dazu, dass Fehler vertuscht werden. Wer den Absturz verhindern will, muss jedoch Fehler sofort benennen, damit umgehend Gegenmassnahmen eingeleitet werden können. Sonst wird aus einem Irrtum ein Crash. Schwache Signale registrieren und deuten: Auch grosse Schäden haben meist einen kleinen Anfang. Deshalb lohnt es sich, achtsam gegenüber den schwachen Signalen zu sein. Mitarbeiter sollten für das genaue Hinsehen belohnt werden, Vorgesetzte sollten sich die realitäten nicht nach ihren Vorurteilen schönsehen, sondern nach geeigneten reaktionsmöglichkeiten suchen. Das grosse Bild im Auge behalten: Die reparatur einer defekten Signallampe im Cockpit nützt nichts, wenn sich durch diese Arbeit keiner mehr um den richtigen Kurs des Flugzeugs kümmert. Deshalb sollten sich Führungskräfte immer die Frage stellen: „Was von dem, was wir hier tun, ist wirklich wichtig?“

Schlüsselthesen zur Sicherheit Zwei Professoren von der University of Michigan haben Schlüsselthesen zur Hochzuverlässigkeits-organisation erstellt: Achtsamkeit: „Zur Achtsamkeit gehört, dass man die Fähigkeit stärkt, am Wahrnehmungsgegenstand festzuhalten, sich nicht ablenken(.. .)zu lassen, und dass man lernt, die eigenen Wahrnehmungen lebendiger und detaillierter zu schildern.“ Grenzen der Kontrolle: „Es ist unmöglich, irgendeine organisation allein durch automatische Kontrollsysteme zu leiten, die auf regeln, Plänen, routinen, stabilen Kategorien und festen leistungskriterien gründen.“ Gute Entscheidungen fällen: „Zu bestmöglichen, fachkundigen reaktionen ist ein System in der lage, wenn Autorität und Kompetenz entkoppelt sind und die entscheidungen ungehindert zu den orten des grössten Know-how wandern können.“

Quellen: Peter Klaus Brandl: „Crash-Kommunikation. Warum Piloten versagen und Manager Fehler machen.“ Karl e. Weick, Kathleen M. Sutcliffe: „Das Unerwartete managen. Wie Unternehmen aus extremsituationen lernen.“


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