Verfasst von: aeropersredaktion | 30/12/2010

Eine Leidenschaft, die finanzielle Leiden schafft

Auch heute setzen wir die Veröffentlichung von Artikeln aus der aktuellen Rundschau fort.

Eine Leidenschaft, die finanzielle Leiden schafft

Wer heute Pilot werden will, muss einen grossen Teil der Ausbildungskosten aus der eigenen Tasche bezahlen. Ob dieses Konzept beim sich abzeichnenden Pilotenmangel optimal ist, darf bezweifelt werden.

Text: Peter Tilly

Am 23. September 2010 verkündete die IFALPA in ihren «Daily News», dass die Swiss neun zusätzliche Flugzeuge erhält. Welche Piloten die Flugzeuge steuern sollen, darüber gibt der Newsletter der internationalen Pilotenvereinigung keine Auskunft. Der sich abzeichnende Pilotenmangel ist aber beim grössten Flugzeughersteller, Boeing, ein Thema. Boeing hat in ihrem «Current Market Report 2010 – 2029» hochgerechnet, dass die Airline-Industrie in den nächsten 20 Jahren 466650 neue Piloten benötigt: «According to Boeing’s ‹Current Market Outlook›, the industry will require 466650 pilots over the next 20 years to accommodate the strong demand for new and replacement aircraft. Breaking down the forecast, Boeing predicts that the Asia-Pacific region will see the largest growth with a requirement for 180 600 pilots, followed by North America, 97 350 pilots, Europe, 94 800 pilots, Latin America, 37 000 pilots, the Middle East, 32 700 pilots and finally Africa,13200 pilots.» Im «Current Market Report 2010 – 2029» von Boeing steht auch, dass Emirates Airlines auf 175 bestellte Flugzeuge wartet, Qatar auf 143 und Etihad auf deren 106.

«Die Jagd nach aviatischen Talenten wird in der Zukunft mit härteren Bandagen geführt.»

Pilotenausbildung

Die Jagd nach aviatischen Talenten wird in der Zukunft mit härteren Bandagen geführt. Flugschulen laufen weltweit auf Hochtouren und bilden auf unterschiedlichen Stufen Piloten aus. In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass wir mit der Swiss Aviation Training (SAT) über eine ausgezeichnete Schule verfügen, die auf hohem Qualitätsniveau innerhalb von 18 Monaten aus einem Anfänger einen Linienpiloten macht. Um dies in dieser kurzen Zeitspanne schaffen zu können, braucht es ein eingespieltes und kompetentes Team, talentierte Studenten, eine gute Infrastruktur und nicht zuletzt eine zuverlässige Selektion.

Bis ins Jahr 1998 hiess diese Schule Schweizerische Luftverkehrsschule (SLS). Sie hatte vom Bundesrat den Auftrag, den fliegerischen Nachwuchs zu fördern, und diente in erster Linie der Ausbildung des Luftfahrtpersonals der nationalen Fluggesellschaft. Der Bund liess sich die Pilotenausbildung einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Laut der Verordnung über die Schweizerische Luftverkehrsschule (SR 748.221.11) musste die Swissair 20 bis 35 Prozent der Kosten für übernommene Piloten zurückerstatten. In der Praxis waren es 33 Prozent. Den Flugschülern entstand kein finanzieller Aufwand. Während der Ausbildung überwies die Swissair ihren zukünftigen Copiloten eine Ausbildungsentschädigung, bezahlte die Reisespesen und einen Teil der Lebenshaltungskosten im Ausland. Nachdem die nationale Fluggesellschaft in den 90er Jahren den Pilotennachwuchs der SLS nicht mehr einstellte, kamen die Bundesbeiträge unter politischen Druck.

Immense Kosten für die Studenten

Nimmt heute ein Pilot die Ausbildung in Angriff, ist er vor der ersten Flugstunde schon bis über beide Ohren verschuldet. Laut Homepage der Swiss kostet die Pilotenausbildung an der SAT 130000 Franken. Nicht in dieser Rechnung inbegriffen sind Lizenzund Prüfungsgebühren, Reisekosten ins Inund Ausland, Materialkosten und natürlich die Lebenskosten. Die Swiss bezahlt den Swiss-European-Piloten 120 000 Franken an die Ausbildung, den Swiss-International-Piloten 45 000 Franken. Vor dem ersten Schultag müssen 10 000 Franken einbezahlt werden. Die restlichen 75 000 Franken werden von den Swiss-International-Jungpiloten innerhalb von sechs Jahren nach Ausbildungsabschluss zurückbezahlt. Rund 1000 Franken beträgt die monatliche Rate zur Tilgung der Darlehensschuld, was im ersten Dienstjahr zu einem Nettolohn führt, der tiefer ist als der eines gleichaltrigen und ungelernten Handlangers auf dem Bau (Quellen: GAV Swiss, unia, bfs.ch).

Die Pilotenschüler der Swiss European und Swiss International unterscheiden sich insofern, als sie unterschiedliche schulische Qualifikationen mitbringen und später zu unterschiedlichen Salären auf unterschiedlichen Flotten zum Einsatz kommen. Inwiefern eine solche akademische Unterscheidung sinnvoll ist, sei dahingestellt. Beat Benninger, Leiter des Flight Crew & Management Assessment Centers der Swiss, betonte allerdings in einem Interview in der «Rundschau» (Ausgabe 4/2007) deutlich, dass alle Bewerber dasselbe standardisierte Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen würden und darum das «Akademia-Argument» gegenstandslos sei.

Einmalige Situation

Manch ein Abgänger der ehemaligen SLS fragt sich heute zu Recht, ob er unter den aktuellen Bedingungen Pilot geworden wäre. Als 20-Jähriger einen derart grossen Schuldenberg aufzuhäufen, ist nicht jedermanns Sache. Ein risikoscheuer Kandidat schaut sich unter diesen Voraussetzungen nach einem anderen und wesentlich besser bezahlten Beruf um. Der Luftfahrt und den Luftfahrtunternehmen gehen deshalb gute und potenzielle Kandidaten verloren.

Nationalrat Jean-Michel Gros (FDP, Genf) hat 1995 die Beiträge des Bundes an die SLS erstmals in zwei Interpellationen (95.3522, 95.3609) an den Bundesrat in Frage gestellt. Herr Gros ist Winzer. Die Ausbildung zum Önologen ist auch nicht ganz günstig. Der Bund zahlte pro Studienjahr an der Fachhochschule im Fachbereich Forstund Landwirtschaft laut Bundesamt für Statistik 64524 Franken pro Student. Die Ausbildung dauert mindestens drei Jahre und schlägt mit 193572 Franken zu Buche. Nationalrat Hans Fehr (SVP, Zürich) doppelte 1996 in einer einfachen Anfrage (96.1027) an den Bundesrat nach. Er forderte darin, dass die Subventionen an die SLS gestrichen werden sollten. Hans Fehr ist Lehrer. Kosten pro Student und Studienjahr: 34101 Franken. Die Ausbildung zum Lehrer dauert an der Pädagogischen Hochschule sechs Semester. Gesamtkosten des Studiums: 102303 Franken.

Abgesehen von einem bescheidenen Semesterbeitrag zahlen Studenten in der Schweiz in der Regel nichts an die Studienkosten. Bei den Piloten ist dies anders. Die Anforderungen werden jährlich angehoben und die Kosten dafür den Flugschülern aufgebürdet. Es findet sich in der Schweiz kaum ein Beruf, der die gleichen finanziellen Einstiegshürden kennt wie derjenige des Piloten.

Wie weiter?

Kurzfristig wird sich kaum etwas ändern. Langfristig besteht aber ein Funke Hoffnung. Der Nationalrat stimmte in der Frühjahrssession 2010 einem Einzelantrag von Urs Hany (CVP, Zürich) betreffend Nachwuchsförderung zu (siehe «Rundschau»-Ausgabe 1/2010). Damit wird die gesetzliche Grundlage zu der im Luftfahrtbericht vorgesehenen Förderung der fliegerischen Ausund Weiterbildung geschaffen.

Trotzdem dürfen die Fakten nicht aus den Augen verloren werden. Die Airlines haben Flugzeuge bestellt, und die Finanzierungen stehen. Keine der Fluggesellschaften kann es sich leisten, die Maschinen wegen Pilotenmangels am Boden stehenzulassen. Piloten in allen Funktionen werden gebraucht – und zwar dringend! Wer wie die Airlines im Mittleren Osten das Geld dafür hat, Jahresproduktionen von ganzen Flugzeugtypen zu erwerben, der kann es sich auch leisten, Jungpiloten aus ihren Schulden herauszukaufen. Beat Benninger hat es im bereits zitierten Interview treffend formuliert: «Ich sehe die Vertreter von Konkurrenz-Airlines bereits auf dem Campus der SAT stehen, um den frustrierten Teil der SAT-Abgänger mit einem dicken Bündel Banknoten von ihrem Bonding loszukaufen.»

Die Koffer sind schnell gepackt

Jungpiloten, die schlecht bezahlt im rechten Sitz auf ihren Schulden sitzen und Dekaden auf die Kapitänsstreifen warten, könnten in naher Zukunft schneller, als es manchem Airline-Manager lieb ist, die Koffer packen. Das Know-how ist dann für immer weg, der Pilotensitz verwaist, und Flugzeuge bleiben unter Umständen am Boden. Die finanziellen Einstiegshürden könnten für die Schweizer Aviatik und die Swiss zum Bumerang werden.

Um die Piloten im Land zu behalten, genügt die Teilfinanzierung der Ausbildung nicht. Es reicht auch nicht, darauf zu hoffen, dass alleine der Leidenschaft wegen Kleinkredite aufgenommen werden. Es braucht zeitgemässe Löhne und für den Körper verträgliche Arbeitsbedingungen! Sonst wird die aviatische Begeisterung schnell zu einer Leidenschaft, die finanzielle Leiden schafft – und zwar auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.


Antworten

  1. Ein ähnliches Problem ist übrigens bei Euren Kollegen bei der Flugsicherung zu beobachten:

    Skyguide zahlt ihren Flugverkehrsleiter-Lehrlingen zwar einen Lohn, dieser ist aber so tief, dass fast alle Lehrlinge von einem Ausbildungsdarlehen (Skyguide verwendet unzählige Begriffe dafür, aber letztlich ist es ein Darlehen) Gebrauch machen müssen. Das Darlehen beträgt maximal 30 Monate à 2’000 Franken, so dass viele Lehrlinge nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung mit Schulden von 50’000 bis 60’000 Franken konfrontiert sind, die ihnen vom Lohn abgezogen werden.

    Ich verstehe nicht, wieso Unternehmen wie Swiss und Skyguide, die grösste Mühe mit der Rekrutierung verzeichnen, ihren Lehrlingen eine solche Verschuldung zumuten. Es müsste doch umgekehrt selbstverständlich sein, dass solche Unternehmen 1. ihren Lehrlingen einen Ausbildungslohn bezahlen, der höher als das Existenzminimum liegt, und 2. die Kosten für die Ausbildung übernehmen. Die Selektion sollte ja sicherstellen, dass nur geeignete Lehrlinge rekrutiert werden, so dass sich die „Investition“ in die Ausbildungskosten in fast jedem Fall lohnt.

    Das führt zu einem weiteren spannenden Thema: Wieso ist die Selektion bei Swiss so erfolgreich, bei Skyguide aber nicht? Was ich damit meine: Wer bei Swiss (SAT) selektioniert wird, schliesst seine Ausbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit ab. Bei Skyguide hingegen ist die Erfolgsquote viel geringer.

    • Vielen Dank für den Kommentar. Wir werden das intern mal besprechen und gegebenenfalls uns wieder melden.

  2. Pilotenmangel. Wen wunderts bei diesen hohen Ausbildungskosten? Damit nicht genug kommen dazu auch noch Landegebühren. Die Anforderungen werden auch immer grösser, die Löhne aber stets tiefer. Seit dem 11. September 2001 haben sich die Löhne der Piloten in den USA halbiert. Die Leute wollen für die Flüge nichts mehr bezahlen aber dennoch den Luxusservice an Bord- genau dort liegt das Problem. Auf die Dauer kann das ja kaum gutgehen. Das liegt auf der Hand. Zurück zu den Anforderungen: wenn man bei der Swiss unbedingt 1.60m gross sein muss und ich wegen meiner Körpergrösse von nur 1.58m bereits abgelehnt werde finde ich das einfach nur überholt und diskriminierend. Die Flugzeughersteller geben nämlich keine Mindestgrösse vor. Dazu kommt das Alter. Bei der Swiss darf man max 33 Jahre alt sein. Warum gerade 33? Bin ich bereits mit 34 nicht mehr fähig, Pilotin zu werden? Komisch ist das ja nicht. Ich habe auch gelesen, dass man bei der Selektion nebst Piloten auch von Psychologen befragt wird. Letztere reden ca. zehn Minuten mit dir und glauben dich bereits zu kennen. Was Psychologen von Nutzen sind haben wir ja im Fall Lubitz gesehen. Auch wird man, wie ich gelesen habe, über die Familie ausgefragt und darüber wie man aufwuchs. Nur, was hat mein Berufswunsch mit meiner Familie zu tun? Ist das nicht Privatsache? Was will die Swiss da herausfinden?
    Fact ist: wer statt Flieger Überflieger sucht, wird sie in der Zukunft kaum mehr finden. Anforderungen steigen stets- nur bleiben die Menschen immer etwa gleich gut.


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