Verfasst von: aeropersredaktion | 03/05/2018

Krank durch Lärm am Arbeitsplatz

Stress gehört zu den grossen Gesundheitsrisiken der heutigen Zeit. Neben den bekannten Stressfaktoren wie Schlafmangel, hohem Arbeitspensum und «Company Stress» spielt auch der Lärm bei der Arbeit eine wichtige Rolle.

Text: Patrick Herr, F/O A320

Stress entsteht durch vielerlei Ursachen: Schlafmangel, lange Arbeitstage und ein hoch dynamisches Umfeld springen als Ursachen sofort ins Auge. Aber welchen Einfluss hat eigentlich der Faktor «Lärm»? Biologisch betrachtet bewirkt Lärm in seinen verschiedenen Formen eine ganze Menge im menschlichen Körper. Auf laute Geräusche reagiert der Körper naturgemäss mit einer Art Alarmzustand – treffenderweise leitet sich das Wort Lärm von Alarm und damit vom italienischen «all’arme» (zu den Waffen) ab. Im Körper kommt es durch das Auslösen des Alarmzustands zur Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin, Cortisol und Noradrenalin. Sie bewirken beispielsweise einen erhöhten Blutdruck und eine gesteigerte Herzfrequenz. Der ganze Körper steht unter Spannung und geht sozusagen in den Angriffsmodus. Evolutionsbiologisch war das früher auch durchaus sinnvoll – wer in grauer Urzeit in der Nähe ein Raubtier brüllen hörte, sollte sich schleunigst für die Flucht oder den Kampf wappnen. Da wir uns heute aber ganz allgemein einem deutlich höheren Lärmniveau gegenübersehen (und uns meistens auch weniger Raubtiere begegnen!), ist dieser Reflex nur noch selten hilfreich. Jeder kennt den kurzen Schreck, der einem einfährt, wenn irgendwo eine Tür zuschlägt oder ein Glas herunterfällt. Der Körper erschrickt und geht kurz in den Alarmzustand, bis wieder Entwarnung gegeben wird. Das ist vielleicht weniger dramatisch als im Falle des Raubtiers anno dazumal, aber das Prinzip ist das gleiche. Wirklich gesundheitsschädlich sind diese Schrecksekunden natürlich nicht; problematisch wird es aber bei der langfristigen Einwirkung von Stress. Denn auch wenn wir Lärm nach einiger Zeit nicht mehr in der gleichen Intensität wahrnehmen, ganz an ihn gewöhnen kann sich unser Körper leider nicht. Mit zunehmender Exposition verschwindet er zwar gewissermassen mehr und mehr im Unterbewusstsein, seine Stress erzeugende Wirkung schwächt sich hingegen kaum ab. Die Augen können wir notfalls zumachen – die Ohren nicht.

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Symptome und Krankheitsbilder

Eine unmittelbare Folge von zu hohem Schalldruck sind Gehörschäden. Sie können durch einmalige, besonders laute Ereignisse über etwa 120 dB(A) (Dezibel) eintreten. Das entspricht etwa dem Geräuschpegel eines startenden Flugzeugs aus nächster Nähe. Zugleich kann aber auch eine langfristige Exposition von lediglich 90 dB(A) unter Umständen zu bleibenden Gehörschäden führen. Die Tabelle auf der nächsten Seite zeigt ein paar Messergebnisse, die ich selbst im Cockpit sammeln konnte. Die grösste Belastung im Cockpit ergibt sich für uns aus der Kombination von Schallquellen im Cruise und Descent, wenn zusätzlich zum allgemein hohen Geräuschniveau, geprägt vom aerodynamischen Rauschen und der Airconditioning, Funksprüche kommen. Die Pegelspitzen erreichen dann leicht bereits Werte von über 85 dB(A); von da ist es bis zur Risikoschwelle für Gehörschäden, bei der die wöchentliche Einwirkungszeit beachtet werden muss (siehe Grafik), nicht mehr weit. Zu den oft unterschätzten Folgen von Lärm gehört insbesondere der Stress für den Körper. Der Körper reagiert auf dauerhaften Lärm genauso wie auf jeden anderen Dauerstress. Irgendwann hat er genug. Studien zufolge ist schon allein Strassenlärm in Deutschland Jahr für Jahr für knapp 4000 Herzinfarkte verantwortlich. Dieser Lärm, insbesondere nachts, führt zu gravierenden Änderungen von biologischen Risikofaktoren wie Blutfetten und Blutzucker. Ebenso kann er zu erhöhtem Blutdruck und in der Folge sogar zum Herzinfarkt führen. Laut der in Deutschland durchgeführten Studie steigt das Risiko für zu hohen Blutdruck besonders nachts.

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Lärm und Fatigue

Zu den unmittelbaren Auswirkungen von Lärm gehört auch der Einfluss auf die Fitness. Eine schwedische Studie konnte zeigen, dass Lärm bei der Arbeit sowohl Einfluss auf die eigene Einschätzung der Müdigkeit als auch auf die Reaktionsfähigkeit hat. In der Studie wurden Mechaniker der schwedischen Luftwaffe beobachtet. Eine Woche lang arbeiteten sie bei hohem Lärmniveau auf dem Vorfeld, eine Woche lang in einem Umfeld mit niedriger Lärmbelastung. Die Mechaniker wurden dabei gebeten, ihre Müdigkeit einzuschätzen. Ausserdem wurden regelmässig Reaktionstests durchgeführt. Die Ergebnisse waren wie zu erwarten: In der Phase der Lärmexposition fühlten sich die Testpersonen deutlich müder. Auch die Reaktionszeiten waren um einiges länger. Darüber hinaus klagten die Probanden deutlich häufiger über Kopfschmerzen als in der «ruhigen» Woche. Interessanterweise scheint nach dieser Studie sogar ein kumulativer Effekt vorzuliegen. Je länger die Testpersonen in der lauten Umgebung arbeiteten, desto müder schätzten sie sich selbst ein, und umso schlechter wurden ihre Resultate bei den Reaktionstests.

Lärm im Cockpit

In der Fliegerei treffen wir auf verschiedene Schallquellen. Manche sind gewollt, wie beispielsweise der Warnton beim Ausschalten des Autopiloten. Hier wird ganz bewusst eine Form von Stress, nämlich eine (zumindest kurzfristig) gesteigerte Aufmerksamkeit für eine neue Situation erzeugt. Einige Schallquellen jedoch sind als Nebenprodukte der Fliegerei nicht zu vermeiden. Zu diesen zählen insbesondere die Triebwerke (deren Ton manch romantisch angehauchter Kollege vielleicht noch als Musik durchgehen lässt), das aerodynamische Rauschen, das entsteht, wenn sich das Flugzeug durch die Luft bewegt, die Geräuschentwicklung durch die Klimaanlage im Flugzeug selbst, der Funkverkehr im Lautsprecher und so weiter.

Wie können wir uns schützen?

Die einfachste Schutzmassnahme ist – wie bei den meisten anderen Stressquellen auch – die Verringerung der Dauer, während der man sich der Schallquelle aussetzt. Der erzeugte Stress sinkt, je kürzer der Körper übermässigem Lärm ausgesetzt ist. Was in der Freizeitgestaltung vielleicht noch leicht fällt, ist im Beruf allerdings eher schwierig. Folglich müssen wir versuchen, die mehr oder weniger unvermeidliche Lärmeinwirkung an unserem Arbeitsplatz so gut es geht zu kompensieren und so gut wie möglich zu minimieren. Dazu stehen uns diverse Hilfsmittel zur Verfügung. Allen voran die Active Noise Reduction Headsets im Cockpit. Sie reduzieren die Hintergrundgeräusche immerhin um etwa 15 Dezibel. Ich persönlich empfinde diese Reduktion als eine wahre Wohltat, führt sie doch dazu, dass man sich endlich nicht mehr anschreien muss! Eine Entspannung sowohl für Gehör als auch Stimmbänder. Weiterhin gibt es im Cockpit diverse Hilfsmittel und Tricks, die zur Verminderung des Geräuschpegels beitragen können. Insbesondere bei älteren Flugzeugen lohnt sich schon das Verstellen der Lüftungsregler. Je nach Stellung kann schon eine kleine Änderung der Lüftung eine gewaltige Veränderung beim Lärmlevel erzeugen. Bei den älteren Flugzeugen unserer A320-Familie lässt sich das Geräuschniveau mit einem einfachen Trick gar um satte fünf Dezibel senken: Am Boden entsteht der grösste Teil des Lärms im Cockpit durch die Belüftung des Avionics Compartments. Das Ausschalten des Extract Fans ist vielleicht kein offizielles Procedure, aber es ist auch nicht explizit verboten (und in unseren Temperaturbereichen auch so gut wie immer unproblematisch). Und last but not least: Ist es wirklich nötig, während des Turnarounds am Boden die Lautsprecher mit der ApronFrequenz auf voller Lautstärke aufgedreht zu lassen? Viel Interessantes ist da erfahrungsgemäss in dieser Phase eh nicht zu hören. Da wir die grossen Lärmfaktoren kurzfristig nicht beeinflussen können, sollten wir uns folglich den kleinen zuwenden. Hier können wir mit sehr wenig Aufwand einen relativ grossen Nutzen erzeugen. Ich empfehle an dieser Stelle jedem von Euch, es bei Eurem nächsten Flugtag wieder mal ganz bewusst auszuprobieren – Euer Nervenkostüm wird es Euch danken.

Fazit

Wir sollten den Faktor «Lärm» bei unserer Arbeit nicht unterschätzen. Wer Lärm nur als Gefahrenquelle für Gehörschäden sieht, denkt zu kurz. Auch seiner Bedeutung für Fatigue und Stress müssen wir endlich mehr Beachtung schenken und entsprechende Schutzmassnahmen treffen – im eigenen Interesse. Zu guter Letzt sei an dieser Stelle auch nochmal auf das Angebot der Firma Neuroth hingewiesen. AEROPERS-Mitglieder können sich in jeder Schweizer Filiale zu speziellen Konditionen einen massgeschneiderten Gehörschutz herstellen lassen. Die Vermessung der Ohren dauert etwa 30 Minuten, die Herstellung etwa ein bis zwei Wochen. Weitere Infos dazu findet Ihr im Mitgliederbereich der AEROPERS-Website.


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