Verfasst von: aeropersredaktion | 30/09/2018

Piloten – von Massen- zur Mangelware

Es scheint, als ob es auf der Welt nur zwei Zustände gäbe: Entweder herrscht Pilotenmangel oder Pilotenüberschuss. In den nächsten Jahren wird ein Pilotenmangel erwartet. Dies betrifft nicht nur Europa, sondern lässt sich weltweit beobachten.

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Text: Dominik Haug

Der Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith hat schon im 18. Jahrhundert über das Marktgleichgewicht gesprochen. Nach diesem regelt der Markt eigenständig Angebot und Nachfrage über den Preis. Sehr vereinfacht dargestellt steigt der Preis, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Umgekehrt sinkt der Preis, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Das lässt sich vom Warenmarkt auch auf den Arbeitsmarkt übertragen. Gibt es zu viele Bewerber auf zu wenige Stellen , so verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Hier entspricht das Angebot den angebotenen Arbeitskräfte und die Nachfrage den zur Verfügung stehenden Arbeitsplätzen.Im umgekehrten Fall steigen die Arbeitsbedingungen und Löhne, wenn es wenige geeignete Bewerber auf viele offene Stellen gibt.

Überträgt man dieses Modell nun auf den Bedarf an Piloten, ergeben sich ein paar Besonderheiten. Denn die meisten Fluggesellschaften haben spezifische Anforderungen an ihre Bewerber. Neben den gesetzlichen Anforderungen, die nur die Lizenz und das medizinische Tauglichkeitszeugnis beinhalten, sind das oft auch eine Mindestanzahl an Flugstunden und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Dadurch ergibt sich für jede Fluggesellschaft eine individuelle Menge an geeigneten Bewerbern. Wie viele Bewerber ein Unternehmen anlocken kann, hängt unter anderem mit den Anforderungen des Unternehmens zusammen. Sehr vereinfacht gesagt, sind die Bewerberzahlen je höher, je niedriger die Anforderungen sind. Denn neben den Ausbildungsstätten der Airlines gibt es eine Vielzahl an Flugschulen, die Linienpiloten ausbilden. Diese Piloten genügen den gesetzlichen Vorschriften, entsprechen aber nicht zwingend den spezifischen Anforderungen aller Airlines. Senkt nun eine Airline ihre Anforderungen, beispielsweise im Bezug auf die benötigten Flugstunden, erweitert sie ihren Bewerberkreis. Gleichzeitig kann sie weniger Lohn und schlechtere Arbeitsbedingungen anbieten. Denn die Abgänger von unabhängigen Flugschulen haben einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für ihre Ausbildung getätigt. Meist müssen sie private Kredite für die sehr teure Ausbildung aufnehmen. Sie sind daher stark auf einen Job angewiesen. Einerseits um die finanzielle Lücke zu stopfen, andererseits um Flugerfahrung zu sammeln. Denn mit mehr Flugstunden haben sie Aussicht auf eine besser bezahlte Anstellung bei einer anderen Airline Erst wenn es nicht mehr genügend Bewerber für die offenen Cockpitstellen gibt, müssen die Fluggesellschaften ihre Arbeitsbedingungen anpassen. So können sie die wenigen Bewerber für sich gewinnen und müssen sie nicht der Konkurrenz überlassen. Lediglich Flugschüler in Nachwuchsprogrammen von Fluggesellschaften sind hier ausgenommen. Durch eine Selektion vor der Ausbildung, stellen die Airlines sicher, dass die Kandidaten den Anforderungen entsprechen. Weil diese hoch sind, sind auch die Arbeitsbedingungen entsprechend gut. Denn nur so lassen sich geeignete Kandidaten anlocken. Das finanzielle Risiko für die Kandidaten ist meist auch sehr gering, weil sie mittels Vorverträgen an die entsprechende Fluggesellschaft gebunden sind.

Situation bei Lufthansa und SWISS

Viele Jahre lang bildete die Lufthansa ihre Nachwuchspiloten an ihrer eigenen Flugschule aus. Diese Ausbildung wurde von der Lufthansa vorfinanziert und stellte so für den Nachwuchs kein finanzielles Risiko dar. Über ungefähr die letzten zehn Jahre baute die Lufthansa eine sehr grosse Warteliste an fertig ausgebildeten Piloten auf. Diese sollten nicht mehr bei der Lufthansa selbst, sondern bei der neuen, sehr stark wachsenden Low-Cost-Tochter Eurowings angestellt werden. Für die jungen Piloten bedeutete dies eine grosse Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ausserdem entschied die Lufthansa vor wenigen Jahren, die Vorfinanzierung der Ausbildung auszusetzen. Flugschüler müssen sich nun die ungefähr 80 000 Euro für die Ausbildung selbst organisieren oder sich um Unterstützung bewerben. Die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Karriereaussichten zusammen mit dem finanziellen Risiko liess die Bewerberzahlen massiv sinken. Mittlerweile sucht die Lufthansa mithilfe kostenintensiver Werbekampagnen nach Nachwuchs, um in Zukunft nicht zu wenige Piloten zu haben.

Bei der SWISS ist die Situation recht ähnlich. Auch hier hat man eine Warteliste an fertig ausgebildeten Piloten, die in der Spitzenzeit bis zu 100 Personen umfasste. Die ausgebildeten Piloten mussten nach Abschluss der Ausbildung mehr als zwei Jahre auf eine Anstellung bei der Swiss warten. Mittlerweile wird diese Warteliste stetig abgebaut. Aufgrund des Flottenwachstums um temporär fünf A319, wovon langfristig drei A319 bleiben und zwei Boeing 777 wird die Warteliste Anfang 2019 komplett leer sein. Die SWISS sucht mittlerweile schon Piloten auf dem freien Markt. Denn die angeschlossene Flugschule kann nicht mehr genügend Nachwuchs ausbilden, um den Personalbedarf zu decken.

Situation in Nordamerika

CNN berichtete Mitte Juli, dass in den USA Piloten bereits jetzt schon knapp sind. Insbesondere ist der regionale Flugverkehr betroffen. Nach Aussagen der Federal Aviation Administration (FAA) betrug die Zahl der Piloten im Jahr 1987 ungefähr 830000. Seither ist die Zahl um knapp 30 Prozent gesunken. Das hat seinen Ursprung in technischen Weiterentwicklungen, längeren Arbeitszeiten und kürzeren Ruhezeiten. Somit lässt sich die gleich hohe Produktion mit weniger Piloten abdecken.

Allerdings erwartet die IATA in den nächsten 20 Jahren eine Verdopplung des Flugverkehrs. Nach einem Bericht von Boeing werden 42 Prozent der Piloten in den USA in den nächsten zehn Jahren ihr Pensionsalter erreichen. Im gleichen Bericht errechnet Boeing einen Bedarf von über 100000 zusätzlichen Piloten in Nordamerika und Australien. Während man dringend Nachwuchs benötigt, beschloss der US Kongress im Jahr 2009, dass ein Pilot mindestens 1500 Flugstunden vorweisen muss, um in einer Fluggesellschaft tätig sein zu dürfen. Diese Hürde zwingt viele Nachwuchspiloten mehrere Jahre für ein geringes Gehalt als Fluglehrer tätig zu sein. Insgesamt sind auch in Nordamerika die Karriereaussichten nicht mehr vergleichbar mit denen, die man noch vor 20 bis 30 Jahren erwarten konnte.

Der Kongress entschied ausserdem im Jahr 2010 die Anzahl von Fatigue-Fällen um fünf bis acht Prozent zu senken. Durch diese Entscheidung wurden nochmals mehr Piloten für die gleiche Anzahl Flüge benötigt.

Die grosse Nachfrage und das gleichzeitig begrenzte Angebot machen sich bei den Arbeitsbedingungen bereits bemerkbar. Gerade Regionalgesellschaften haben ihre Gehaltstabellen nach oben angepasst. Allerdings fehlen den Fluggesellschaften in Nordamerika immer noch eigene Nachwuchsprogramme, wie man sie teilweise in Europa kennt. Auch die Einwanderungspolitik der USA und die wenigen Möglichkeiten eine Arbeitserlaubnis zu erlangen, erschweren die Suche nach geeigneten Piloten aus dem Ausland. Man muss in der Regel schon eine Arbeitserlaubnis für Nordamerika besitzen, um sich bewerben zu dürfen. Diese erlangt man jedoch nur, wenn man einen Arbeitsvertrag hat. Und welcher Pilot wandert schon aus, um dort einer anderen Tätigkeit nachzugehen, um sich anschliessend wieder als Pilot bewerben zu dürfen. 

Situation im asiatischen Raum

Laut dem Bericht von Boeing werden von den 558000 zusätzlichen Piloten über 40 Prozent auf Asien entfallen. Insbesondere chinesische Fluggesellschaften bieten erfahrenen Piloten sehr hohe Gehälter. Kapitäne werden mit Löhnen bis über 300000 US-Dollar angelockt – steuerfrei. Gerade in China, wo das Durchschnittseinkommen sehr gering ist, sind solche Summen aussergewöhnlich hoch. Auch im Vergleich mit anderen Führungspositionen ist die Arbeit noch immer sehr gut bezahlt.

SriLankan Airlines hat beispielsweise seit jeher stetig Piloten an die Fluggesellschaften im mittleren Osten verloren. Mittlerweile sind die Gehälter bei SriLankan Airlines beinahe so hoch wie bei den bekannten Fluggesellschaften aus der Golfregion. Die Lebenshaltungskosten in Sri Lanka sind aber um ein Vielfaches geringer.

Bangkok Airlines reagiert auf die Veränderungen im Markt ebenso mit steigenden Gehältern. Auch sie möchten verhindern, dass ihr Personal zur hauptsächlich chinesischen Konkurrenz überläuft.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der asiatische Markt insbesondere für erfahrene Piloten, der asiatische Markt sehr lukrativ ist. Weil sich diese Angebote aber auf erfahrene Piloten, meist sogar nur auf Kapitäne beziehen, sind sie für den Nachwuchs in Europa also keine Alternative. Allerdings besteht für europäischen Fluggesellschaften die Gefahr, dass erfahrene Kapitäne dem Ruf des Geldes nach Asien folgen. Auch diese Lücken in der Personaldecke gälte es dann zu schliessen. Dieses Risiko ist nicht zu unterschätzen, denn der Löwenanteil des Wachstums und der damit einhergehenden Nachfrage werden in Asien stattfinden. Inwiefern die asiatischen und insbesondere chinesischen Fluggesellschaften ihr Wettbieten werden weiterführen können, bleibt abzuwarten.

Situation im arabischen Raum

Emirates hat viele Jahre lang ein grosses Wachstum zu stemmen gehabt. In jüngerer Vergangenheit wurde dieses Wachstum allerdings etwas gebremst. Dies lag einerseits am niedrigen Ölpreis. Der Preisvorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz schrumpfte. Andererseits haben die Einschränkungen, die Donald Trump zu Beginn seiner Amtszeit eingeführt hatte, zusätzlich das Geschäft beeinträchtigt. Diese kleine Krise scheint überwunden zu sein, aber es fehlt nun an Piloten für das Wachstum. Emirates kündigte bereits im Frühjahr an, dass man im Sommer 100 bis 150 Piloten zu wenig haben wird. Aufgrund dieser Unterbesetzung mussten nun Flugzeuge am Boden bleiben und Flüge gestrichen werden. Laut Emirates soll auch diese Krise im September 2018 jedoch bereits überwunden sein. Mittlerweile gibt es sogar eine Kooperation zwischen Emirates und dem Nachbarn Etihad. Um die fehlenden Stellen zu besetzen, leiht Etihad für den Zeitraum von zwei Jahren Piloten an Emirates aus. Diese Piloten werden nach dieser Zeit wieder an ihre Stelle bei Etihad zurückkehren. Von einem langfristigen Pilotenmangel möchte man bei Emirates jedoch nicht sprechen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann die fehlenden Piloten gefunden sind.

Fazit

Die Airlinebranche ist sich einig, dass es in den nächsten 20 Jahren weltweit zu einem grösseren Bedarf an Piloten kommen wird. Vor allem Asien, Nordamerika und Europa werden sich damit auseinandersetzen müssen. Insgesamt fallen fast drei Viertel der neu benötigten Piloten auf diese Regionen. Indem sie vermehrt Nachwuchs ausbilden, versuchen die europäischen Fluggesellschaften diesem Trend zu begegnen. Wo dies nicht ausreicht, wird auf bereits ausgebildete Piloten zurückgegriffen. Wenn der Trend aus Asien anhält und dort weiterhin horrende Gehälter bezahlt werden, wird sich dies vermutlich auch auf die Arbeitsbedingungen in Europa auswirken. Für die arabischen Fluggesellschaften wären Crew-Basen in Europa eine Möglichkeit. Denn viele europäische Piloten möchten nicht arbeitsbedingt nach Dubai oder Abu Dhabi auswandern. Wenn sich dann auch noch der amerikanische Markt weltweit öffnen würde, käme endgültig Bewegung in den Arbeitsmarkt. Solange aber in Europa noch genügend Piloten zur Verfügung stehen, wird sich nur langsam etwas an den Arbeitsbedingungen ändern. Dies wird vermutlich erst passieren, wenn die europäischen Fluggesellschaften realisieren, dass ihre fest angestellten Piloten sich nach einem anderen Arbeitgeber umsehen können und wollen – im Zweifelsfall auch am anderen Ende der Welt.


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