Eine überraschende Anfrage der Crew Disposition, und schon sitze ich im Flieger nach Montreal. Ein ungewöhnlicher Flug nach Zürich mit einer fabrikneuen CSeries steht bevor. Doch zuvor muss noch einiges geregelt werden.
Am Morgen kurz nach 8 Uhr klingelt mein Telefon – ich bin gerade aufgestanden. Crew Control am Apparat: Was können sie wohl wieder wollen? Mein Check-in für die vier Legs heute ist für 11.15 Uhr vorgesehen, wohlgemerkt das dritte Assignment an
diesem Mittwoch. Die nächsten vier Tage sind mit RESX vorgemerkt, nachdem mir der gewünschte und erhaltene Night-stop in Hannover aus operationellen Konsequenzen
weggenommen wurde. «Guten Morgen, wärst Du bereit, nach Montreal zu positionieren,
einen neuen Bombardier-Flieger abzuholen und nach Zürich zu überfliegen? Wir brauchen dringend einen Commander. Du bist ‹experienced›, nicht wahr? Rückkehr
wäre am Samstag morgens. Der technische Pilot lässt ausrichten, Du müsstest unbedingt das ‹eTA› machen.» «eTA»-was? Erklärung folgt. Das Flugzeug sei noch nicht «ready», und die Übergabe habe sich somit verzögert. Der Captain, der für den Überführungsflug
schon in Kanada weile, müsse zurück zu einer Hochzeit, deshalb sei Ersatz gefragt.
Nach kurzer Überlegung sag‘ ich zu. Check-in als DH-Crew sei um 12.15 Uhr vorgesehen,
Abflug 12.45 Uhr mit LX 86. Uniform? Ich solle sie mal mitnehmen.
Gerade noch rechtzeitig
Ab unter die Dusche, frühstücken, herausfinden, wie das Wetter in Kanada sein wird, um richtig zu packen. Anruf vom technischen Piloten aus Montreal Mirabel mit einem Status-update: Adresse wird noch zugestellt, keine Uniform nötig, Pick-up in Montreal Dorval ist noch offen, eventuell werde es ein Taxi. Man übernachte im «Holiday Inn» in Laval. Nun fülle ich das eTA (Electronic Travel Authorisation) online aus, was auch seine Zeit dauert. Ist wohl besser, ich gehe frühzeitig zum Flughafen. Keine Ahnung, wie ich zum Flieger kommen soll: den Passagierweg oder den Crewbus nehmen? Nach kurzem Schwatz mit Kollegen im OPC gehe ich zu Crew Control mit Fragen zum Boarding und der Einreise in Kanada. Kurze Ratlosigkeit, danach die klärende Frage vom Chef: Hast du ein US-Visum? Woher denn? als Kurzstreckenpilot… Somit muss ich über den normalen PaxKanal mit Ticket zum Flugzeug (hat damit zu tun, dass wir eventuell in den US-Luftraum einfliegen). 45 Minuten vor Abflug wird das Ticket von Crew Control geordert – es habe Platz in der First… NOC bestellt gleichzeitig noch ein FC-Essen und ruft die Cockpit-Crew von LX 86 an, mit der Anweisung: kein Take-off ohne mich! Na, da fühle ich mich fast schon wie ein VIP… Ticket ausstellen dauert so… Um Zeit zu sparen, mach‘ ich mich schon mal auf den Weg zum Terminal. Checkin am Business-Schalter – das Ticket ist noch nicht parat. Warten, 25 Minuten vor Abflug geht mein Koffer endlich das Band runter. Hoffentlich schafft er es rechtzeitig auf den Flieger. Was soll’s… Kleider sind in Kanada nicht teuer, oder? Ich eile unverzüglich zum Gate. Natürlich ist es im Dock
Midfield, und dazu noch am äusseren Ende. Im Laufschritt erreiche ich mein Ziel, wo alle sehnsüchtig auf mich warten… schnell, schnell… dabei bin ich noch einige Minuten
vor STD dort… Machen sie auf der Langstrecke die Türen früher zu? Vom Gate aus werde ich der Crew telefonisch angekündigt und von ihr sehnlichst begrüsst, und hinter mir wird schon die Bordtüre geschlossen. Links in die First… Einsam und gemütlich – wir sind nur zu zweit.
Dorval, Mirabel oder Laval?
Endlich habe ich Zeit, mich zu setzen und zur Ruhe zu kommen. Natürlich will die Crew wissen, was es mit mir auf sich hat. Sie hatten mitbekommen, dass ich fehlte, mein Name war auf der Crewlist, Cockpit und Gate fragten ebenfalls nach, ob der Staff für die First schon an Board sei. Ich erkläre die Sachlage, und auf die Frage, wie es nach meiner Ankunft weitergehe, kann ich der Crew keine Antwort geben. Ich habe nur eine Telefonnummer. Habe ein Déjà-vu: vor 15 Jahren war ich auch aus STBY mit nur einer Telefonnummer nach Rumänien geschickt worden. Kreditkarte und Telefon – es wird auch diesmal schon klappen. Den Atlantikflug geniesse ich in vollen Zügen… Nach langem Anstehen bei der Immigration wartet niemand auf mich in der Ankunftshalle, auch habe ich keine SMS mit Adresse erhalten… Was nun? Ich rufe den technischen Piloten (TP) an, jemand anderes von der LX-Technik nimmt ab und gibt mir die Adresse:
«Holiday Inn» in Laval. Nichts Weiteres, sie seien gerade in einem Meeting. Ab in ein Taxi. Anscheinend gibt es mehrere «Holiday Inns». Er solle einfach Richtung Mirabel losfahren. Mein vor Jahren zurückliegender Urlaub kommt mir zu Hilfe. Im Worstcase einfach direkt zur Bombardier-Fabrik – das wäre zumindest der Plan B. Das Auffinden und Einchecken im Hotel klappt jedoch bestens. Es regnet. Später ruft der TP zurück, und wir verabreden uns zum Abendessen.
Ausführliche Vorbereitung und letzte Testflüge
Am nächsten Morgen geht’s zu Bombardier, eine halbe Stunde Autofahrt in die Fabrik in Mirabel. Wir sind insgesamt sechs Personen. Zwei von der LX-Technik, einer von
der Abnahme und drei Piloten. Öde Landschaft, es regnet immer noch an diesem Donnerstag, die Strassen sind in einem schlechten Zustand. Das LX-Team ist sich noch nicht sicher, ob der Überführungsflug wie geplant am Freitagabend stattfinden kann.
Technisch hatten sie am Mittwoch noch ein Finding, das in einem weiteren Checkflug abgeklärt und für in Ordnung befunden werden müsse. Doch dieser Testflug ist noch
ungewiss wegen des schlechten Wetters, die Wolkendecke befindet sich auf 200 Fuss über Grund. Die Werkpiloten sind nur Cat-1-zertifiziert – dies hat unser Team eben erst erfahren. Solange das Flugzeug nicht an die SWISS übertragen ist, fliegen die erkpiloten die Maschine, und der TP sitzt auf dem Jumpseat. Somit ist Warten angesagt. Ich mache mich nun mit dem vorgesehenen Überführungsflug vertraut. Dazu gibt es einiges an Unterlagen zu studieren, und ich mache unter anderem das Computer-based Training der B777 für die nördliche Hemisphäre. Das dauert so einen halben Tag. Ebenso müssen die Enroute-Alternates angeschaut werden. Zwischendurch komme ich in den Genuss einer persönlichen Werkführung und erhalte so Einsicht in die verschiedenen
Produktionsstadien der BCS- und der CRJ-Flugzeuge bei Bombardier. Fotos machen ist
leider nicht erlaubt. Das Wetter bessert sich leicht, und der Testflug kann stattfinden. Nach mehreren geplanten Go-arounds kehren die Testpiloten mit unserem
TP zurück. Alles in Ordnung.
Nochmals Fragen und endlich Unterschriften!
Danach machen wir drei LX-Piloten ein ausführliches Pre-briefing für den Überführungsflug. Das Routing geht nicht direkt über den Nordatlantik, sondern über Grönland. Da das Flugzeug nicht für ETOPS-Flüge zertifiziert ist, muss innerhalb von 60 Minuten ein Ausweichflughafen angesteuert werden können (d.h. Still
Air Distance 370 NM). Es gibt zwei vorgegebene Routen: Route 1 führt über Iqaluit, Söndre Strömfjord (Kangerlussuaq) und Island; Route 2 via Goose Bay, Narsarsuaq
(Südspitze Grönlands) und Island. Je nach Wetterlage der Ausweichflughäfen wird die Route bestimmt, die in unserem Fall die Route 2 ist. Ein Thema auf dieser Route ist die
VHF-Abdeckung zwischen Kanada und Grönland. Gemäss Karte existiert eine kleine Lücke. Des Weiteren beschliessen wir, die Programmierung des FMS schon am Abend zu machen, um in den frühen Morgenstunden Zeit zu sparen. Denn wenn alles klappt, kann
unser Flug schon am Freitagmorgen stattfinden, anstelle des ursprünglich geplanten Abendflugs. Flexibilität und Arbeitseifer des Teams sind beeindruckend. Eigentlich ist alles bereit, und die Flugzeugübertragung an die SWISS kann stattfinden – wenn nicht zufällig noch ein technisches Finding aufgetaucht wäre. Die Drain Masts sind zirka 70 Grad heiss. Ist dies normal – am Boden? Der Vergleich mit einem anderen im Hangar stehenden Flugzeug geht nicht, da CAA-Experten beim angepeilten Flieger an Bord sind. Die Order von Bombardier dazu lautet klar und deutlich: «Don’t come near!» Es folgt ein Anruf an unsere Technik in Zürich. Die Maintenance soll dort an einer im Hangar stehenden CSeries den Vergleich anstellen. Auch die Bücher erweisen sich nicht als hilfreich und können nichts zur Klärung beitragen. Nach Rückmeldung von Zürich seien die heissen Drain Masts normal. Somit können die Unterschriften abends getätigt werden, und das Geld wird überwiesen. Den anschliessenden Champagner lassen wir sausen… sonst wird’s zu spät. Zurück geht’s zum Hotel via «Boston-Pizza» direkt ins Zimmer – vorpacken und ab ins Bett.
Mit gutem Wetter in den Nordatlantik
Aufstehen um 3 Uhr Lokalzeit, 4.15 Uhr bei Bombardier. Die Mechaniker haben fast die ganze Nacht durchgearbeitet, es gibt viel Papierkram zu erledigen. Obwohl planerisch nicht notwendig, wird das Flugzeug vollgetankt, da das Kerosin im Kaufpreis inbegriffen ist. Die Flight Crew setzt sich nochmals zusammen für ein Briefing. Es ist noch unklar, ob wir starten können, da das Wetter in Narsarsuaq noch unbestimmt ist. Im TAF hat es
noch ein TEMPO mit Gusts, die uns eine Zwischenlandung verunmöglichen würden. Telefon an Dispatch ZRH, die bei Meteo-Schweiz die letzten Informationen holen. Es sieht
gut aus, und wir geben ein «GO!». Grönland durch den Head-up Display (HUD) gesehen. Um 5.15 Uhr sitzen wir im Cockpit und gehen die Checklisten durch. Ich bin froh, dass wir das FMS schon am Vorabend programmiert haben. Es ist stockdunkel, es regnet, die Sicht ist schlecht. Wir haben keine Karten im EFB vom Flugplatz, sondern behelfen uns mit unseren Surface-Laptops. Mirabel Airport ist ein «uncontrolled airport», aber mit einem Information Center. Dieses gibt uns eine Re-clearance mit einem neuen Departure Procedure und einer dazugehörenden Frequenz. Um 5.40 Uhr rollen wir im Werkgelände los, mit dem Segen und einem «Auf Wiedersehen!» von der Bombardier-Dispatch-Frequenz. Take-off um 5.48 Uhr, Level-off auf 3000 Fuss, straight-out … Danach Steigflug ins Dunkle hinaus. Es schüttelt und regnet. Relativ schnell gehen wir auf Flight Level 370, um den Turbulenzen zu entgehen. Wir fliegen mit einer wunderschönen Aussicht in die Morgendämmerung an diesem Wintermorgen. Die am Vortag gelernten Sätze «negative ETOPS, negative HF, negative SELCAL, negative CPDLC» kann ich nun auswendig und löse bei der ATC damit nur ein kurzes Fragezeichen aus. Nach dem Einchecken bei Gander vor unserem Entry Point «Hoist» in den North Atlantic will Gander Control uns die Oceanic Clearance per Voice durchgeben. Ich erkläre ihm, dass wir das per ACARS machen möchten. Es hat im ATS-Menü sogar einen Tab für «Oceanic
CLX» – es klappt alles bestens, und ich erspare mir die lange Schreibarbeit.
An Grönland vorbei mit VHF und kaltem Essen
Es ist ein ruhiger Flug mit herrlichen Flugwetter. Wir können aber wegen unseres hohen Gewichts die im OFP angegebene Flugfläche beim Oceanic Entry Point nicht erreichen – ist aber nach Rücksprache mit Gander ATC kein Problem. Eine halbe Stunde nach Hoist kämpfen wir uns dann, wie mit ATC abgemacht, auf FL 410 hoch. Zwischen Kanada und Grönland, beim 50. Längengrad, gelingt es auch nach mehreren Versuchen nicht, einen
Funkkontakt mit Gander herzustellen und unseren Report durchzugeben.
Wir versuchen es mit anderen Frequenzen, die wir auf der COM-Karte heraussuchen.
Bei der zweiten Frequenz antwortet Gander dann – alles wieder in Ordnung.
Alle zehn Längengrade und an den dazwischen liegenden Waypoints (aus dem OFP) werden Position Reports durchgegeben, was nach anfänglichem Stottern am Schluss routiniert rüberkommt. Der hintere Teil der Kabine wurde vom Übernahmeteam verdunkelt, um besser schlafen zu können, und die Mechaniker holen ihren Schlaf nach.
Bei uns ist die Cockpit-Tür offen, und wir haben immer wieder Besuch, da die Aussicht hier vorne viel grandioser ist. Aber auch die technischen Raffinessen des Flugzeugs
werden nachgefragt. Wie immer ist das Essen ein Thema: Es gibt nur eine Frühstücks- und eine Lunchbox zur Auswahl. Da der Inhalt der jeweiligen Box gleich ist, wird das Essen aufgeteilt. Alles ist kalt. Da sehnt man sich nach dem Essen der normalen Langstrecke mit First- und Business-Auswahl. Wir nähern uns Grönland mit einer wunderschönen Aussicht. Kein Wölkchen ist am Himmel. Sogar Eisberge sind im Wasser zu erkennen. Langeweile hat hier keine Chance, da immer jemand vom Team im Cockpit sitzt und für Abwechslung und Unterhaltung sorgt. Bei den Position Reports dauert eine Rückmeldung manchmal etwas länger – liegt‘s am VHF? Aber es klappt schliesslich gut. Wir werden an Reykjavik ATC übergeben, und nach erfolgtem Aufruf gibt es eine Abkürzung direkt zum Exit Point des Nordatlantiks. Somit führt der Flugweg 80 Meilen südlich der Insel vorbei, die teilweise unter den Wolken liegt. Wir sehen einen eisbedeckten Schichtvulkan, Eyjafjallajökull? Nein, es ist der Hvannadalshnúkur, die höchste Erhebung Islands, die im Süden des Vatnajökull (dem grössten Gletscher Islands, acht Prozent der Landesfläche) liegt. Querab der Färöer gebe ich das Kommando ab und legemich hin. Nicht in einen Crewbunk oder Ähnliches, sondern in eine Dreierreihe der Y-Class mit hochgeklappten Mittelarmlehnen – die Füsse ragen in den Mittelgang. Ich
döse bis London und übernehme dann wieder. Als weiteres Highlight erleben wir einen wunderschö- nen Mondaufgang über der Wolkendecke am Horizont, wo auch der Erdschatten zu sehen ist. In der Gegend von Paris machen wir uns für die Landung in Zürich bereit. Es wird wieder dunkel, und wir fliegen in die Nacht hinein. Nach dem «Grüezi» bei der Swiss ATC gibt es einen Straight-in Approach in ZRH, anscheinend die Regel bei Überführungsflügen. Nach der Landung rollen wir zum Standplatz bei der Maintenance und haben noch immer 4,3 Tonnen Treibstoff an Bord. Das heisst noch über eine Stunde Extra-fuel, bevor wir dann noch komfortabel einen Alternate hätten ansteuern können. Was für ein tolles Flugzeug!
Nachwort
Für mich war dieser Flug ein Highlight in meiner fliegerischen Laufbahn. Entgegen dem Titel dieses Essays möchte ich mich aber dennoch nicht als Langstreckenpilot bezeichnen. Im beschriebenen Flug und in Nacht-turn-arounds von knapp neun Blockstunden mit der CSeries kann ich das Leben der Langstreckenkollegen nur ansatzweise erfahren. Es ermöglicht mir aber, ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, was es bedeuten mag, Zeitverschiebungen, Nachtflügen, wenig Erholungszeit zu Hause, Flügen, bei denen es nie richtig dunkel wird, Jetlag, East-westtransitions etc. ausgesetzt zu sein.
Text: Christian Sneum, Vorstandsmitglied