Verfasst von: aeropersredaktion | 12/10/2020

Flugzeug zu verkaufen

Den Hausmüll rauszubringen ist mitunter unbequem, aber nicht besonders schwer. Ein Flugzeug loszuwerden ist dann schon etwas aufwendiger. Was passiert eigentlich mit Flugzeugen, die keiner mehr haben will? Und was bedeutet die derzeitige Krise für die Leasingfirmen?

Text: Patrick Herr

Um ein altes Sprichwort zu bemühen: Das einzig Beständige in der Luftfahrt ist der Wandel. Das zeigte sich gerade in der Anfangszeit der Luftfahrt in den 1920er-Jahren. Die Innovationen überschlugen sich geradezu, neue Modelle und Designentwürfe erschienen im Monatstakt und verschwanden oft auch genauso schnell wieder. Jedes erfolgreiche neue Modell verdrängte ein altes, teilweise in andere Märkte, teilweise direkt in die Bedeutungslosigkeit.

Mittlerweile scheint das Tempo etwas abgenommen zu haben. Die grossen Hersteller brachten in den letzten 20 Jahren nur vier neue Flugzeugtypen auf den Markt. Imposantestes Beispiel davon war der Airbus 380. Gerade einmal 15 Jahre nach dem Erstflug stellt Airbus das Projekt jetzt ein. Damals wie heute stellte sich den Eigentümern ein recht ähnliches Problem – wohin mit einem Flugzeug, das nicht mehr gebraucht wird? Und damals wie heute sind die Optionen praktisch gleich: Verkaufen, Vermieten oder Verschrotten. Für die beiden ersten benötigt es zahlungskräftige Interessenten. Für die letzte Option braucht es vor allem Platz. Der Einbruch der Nachfrage im Zuge der Corona-Krise scheint den vierstrahligen Riesen endgültig den Todesstoss zu versetzen. Die Lufthansa legte bereits sechs von 14 A380 still, geplant war der Verkauf an Airbus eigentlich erst 2022. Ebenfalls ausgeflottet werden fünf von 13 Boeing 747-400 sowie ein grosser Teil der A340-600-Flotte. Bei anderen Airlines zeigt sich ein ähnliches Bild. Emirates prüft eine vorzeitige Stilllegung vieler A380, Qantas verabschiedete erst kürzlich seine letzte 747-400 in den Ruhestand.

Eingemottete Riesen

Und damit verwandelt sich ein Flugzeug, das je nach Bestuhlung bis zu 853 Passagiere befördern kann, gewissermassen zu einem Haufen Altmetall und Recyclingmasse mit einem Gewicht von über 270 Tonnen. Während in der Vergangenheit zahlreiche Flugzeuge, deren wirtschaftliche Lebensdauer überschritten wurde, oft noch in Afrika oder Südamerika eingesetzt wurden, entfällt diese Option für Giganten wie den A380 und die B747. Für die klassischen Zweitmärkte sind sie einfach zu gross. Und so finden mehr und mehr Flugzeuge ihre vorübergehende oder letzte Ruhestätte an Orten wie Tucson in Arizona, Teruel in Spanien oder der Mojave-Wüste. All diese Orte haben ein paar Gemeinsamkeiten, die sie besonders attraktiv für die Zwischen- oder Endlagerung von Flugzeugen machen. Zu allererst bieten sie genügend Raum für den enormen Platzbedarf. Auf der Davis-Monthan Air Force Base in Tucson ist unter anderem die 309th Aerospace Maintenance and Regeneration Group zu Hause. Über 600 Mitarbeiter kümmern sich hier auf einer Abstellfläche von über zehn Quadratkilometern um über 4000 Flugzeuge. Auf dem Gelände befinden sich überwiegend Flugzeuge und Fluggeräte der US-Streitkräfte, teils zur Zwischenlagerung, teils als Ersatzteillager, teils einfach zur Verschrottung. Weiterer wichtiger Faktor sind die klimatischen Bedingungen. Um Korrosion an den Flugzeugen zu vermeiden, werden die Flugzeugfriedhöfe gerne in trockenen, warmen Regionen angesiedelt. In Europa findet man diese Bedingungen zum Beispiel in Teruel nahe Zaragoza im Nordosten Spaniens. Dort stehen insgesamt 225 Abstellplätze für Flugzeuge zur Verfügung. Im Zuge der Corona-Krise erlebte der Flugplatz einen regelrechten Boom, sehr zur Freude des Hauptnutzers Tarmac Aerosave, Europas grösstem Flugzeugrecycler. Nachdem die Firma bereits 2019 ein Rekordjahr mit 200 Neuzugängen verzeichnen konnte, sorgt die Corona-Krise für einen weiteren kräftigen Wachstumsschub. Während der grösste Teil der Flugzeugindustrie blutet und die Produktion zurückfährt, erhöhte TARMAC Aerosave im Juni dieses Jahres seine Kapazität mit einer neuen Lagerstätte in Paris-Vatry um weitere 30 Stellplätze. Das bedeutet eine Kapazitätserhöhung von mehr als zehn Prozent. Für Airbus ist das angesichts der aktuellen Auftragsflaute vielleicht ein kleines Trostpflaster – der Flugzeugbauer hält mehr als ein Drittel der Anteile an TARMAC Aerosave. Neben der Langzeitlagerung von Flugzeugen, die irgendwann wieder reaktiviert werden sollen, bietet die Firma auch die komplette Zerlegung und Entsorgung ganzer Flugzeuge an.

Recycling

Hat ein Flugzeug endgültig das Ende seiner Lebensdauer erreicht, beginnt ein präzise organisierter Recyclingprozess. Zunächst müssen alle Restflüssigkeiten wie Öl, Hydraulikflüssigkeit und Kerosin abgelassen werden. Da die meisten Flugzeugfriedhöfe auf unversiegeltem Wüstenboden stehen, ist das in puncto Umweltschutz elementar wichtig. Dann wird alles ausgebaut, was nicht niet- und nagelfest ist. Sitze, Cockpitelemente, Fenster und vieles mehr werden entfernt. Je nach Alter des Flugzeugs und Zustand der entfernten Teile gelangen diese dann entweder zurück an die jeweiligen Kunden, etwa als Ersatzteil für die bestehende Flotte, oder werden verkauft. Der Markt für ausrangierte Flugzeugteile und Memorabilia ist gross. Spezialisierte Händler verkaufen so ziemlich jedes verfügbare Teil an Sammler und Enthusiasten, vom Kaffeelöffel bis hin zum ganzen Sitz. Aus den Sitzgurten werden Gürtel, aus einem Flugzeugfenster samt Rahmen ein Dekorationsstück, aus einer Cockpitscheibe ein Beistelltischchen. Wer etwas mehr Platz auf dem Balkon hat, kann sich auch gleich aus dem Triebwerkeinlass einer A320 einen Whirlpool basteln lassen. Die Summen, die für solche Stücke fällig werden, zeigen, dass sich aus einem ausrangierten Flugzeug noch eine Menge Geld machen lässt. Die Zahlungsbereitschaft der Sammler ist hoch – eine Doppelbank aus zwei Economy-Sitzen kostet je nach Zustand, Alter und ehemaliger Airline zwischen 500 bis weit über 1000 Euro. Für besonders seltene Stücke ist die Preisskala nach oben weit offen. Sind die direkt verwertbaren Teile erstmal entfernt, geht es der Struktur an den Kragen. Mit Drahtsägen werden die Flügel, das Leitwerk und der Rumpf zersägt und auf handlichere Grössen gestutzt. Bewegliche Teile, wie zum Beispiel Landeklappen, können je nach Zustand wiederverwendet werden. Allerdings müssen sie dafür erneut zertifiziert werden. Der nicht mehr brauchbare Rest wird nach Materialien sortiert, verpackt und in den Wiederverwertungskreislauf gebracht. Bei Flugzeugen ist das vor allem Aluminium, das eingeschmolzen und erneut verwendet werden kann. Nicht selten landet dieses recycelte Aluminium dann übrigens wieder in der Neuproduktion. Ausrangierte Airliner werden damit gewissermassen nochmal Teil eines Flugzeugs. Laut TARMAC Aerosave können so bis zu 92 Prozent des Gesamtgewichts eines Flugzeugs wiederverwendet werden.

Tarmac Aerosave schließt Zerlegung erster A380 ab - airliners.de

Leasing

Weitere Gewinner der Krise könnten langfristig auch grosse Leasinggeber werden, sofern sie über die nötigen Reserven verfügen. Einer der Grossen auf diesem Markt ist Avolon. Die Firma mit Hauptsitz in Dublin verleast derzeit über 800 Flugzeuge an 145 Airlines. Nach eigenen Angaben verfügt sie derzeit über liquide Mittel von mehr als fünf Milliarden US-Dollar und ist damit recht gut aufgestellt. Kurzfristig rechnet man bei Avolon wohl zurecht mit einem Rückgang des Geschäfts – in der derzeitigen Lage möchte kaum eine Airline neue Verbindlichkeiten eingehen. Das zeigt sich in der Stornierung von über 100 Flugzeugbestellungen seitens der Leasingfirma bei Boeing und Airbus. Langfristig aber können Leasinganbieter gewinnen, weil sie mit der entsprechenden Bargeldreserve zum Rettungsanker für angeschlagene Airlines werden könnten. Das passende Modell heisst «sale-and-leaseback». Dabei verkauft eine Airline ein Flugzeug an die Leasingfirma und least es direkt wieder. Für die Airline ist das langfristig zwar teurer, kurzfristig spült es aber frisches Bargeld in die Kassen. In Krisenzeiten kann das überlebenswichtig sein. Das Geschäftsmodell von Leasinggesellschaften ist auch sonst bis zu einem gewissen Grad relativ krisenfest. Werden keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen, kann es dem Leasinggeber nämlich relativ egal sein, ob das Flugzeug fliegt oder ob es irgendwo in der Wüste abgestellt ist. Die Leasingrate ist je nach Vereinbarung ohnehin fällig. Kritisch wird es für die Leasinggeber erst, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Kunden droht. Verschiedene Vertragsmodelle sorgen dann noch dafür, dass der Markt spannend bleibt. Wurde ein Vertrag mit einer bestimmten Laufzeit, beispielsweise über zehn Jahre, geschlossen, erhält die Leasingfirma am Ende ein Flugzeug mit deutlich weniger Abnutzung zurück, wenn es längerfristig stillgelegt wurde. Das wiederum schlägt sich dann in einem höheren Restwert des Flugzeugs nieder. Besteht hingegen ein Vertrag nach tatsächlicher Nutzung, also etwa nach Flugstunden, profitiert eher die Airline, da sie das Flugzeug über einen längeren Zeitraum nutzen kann. Welche Bedeutung das Leasing in der Airlinebranche hat, zeigt sich, wenn man sich die Struktur einzelner Airlines genauer anschaut. Die ungarische Fluglinie Wizzair beispielsweise hat alle ihre Flugzeuge geleast – die Möglichkeit, mit dem Verkauf von Tafelsilber in Form von Flugzeugen zu frischem Kapital zu kommen, ist also gleich null. Global betrachtet, ist fast die Hälfte aller kommerziellen Flugzeuge geleast.

Abwrackprämie

Aus den USA kommt gerade ein Vorschlag, der zwar nicht ganz neu ist, aber durch sein wirtschaftliches Potenzial Aufsehen erregen könnte. Ähnlich der Abwrackprämie für Autos, bei der Autobesitzer eine Prämie erhalten, wenn sie ihre alten Fahrzeuge verschrotten lassen, könnte der schwächelnde Flugzeugmarkt mit einer entsprechenden Prämie angeheizt werden. Der Entwurf sieht vor, dass die US-Regierung alte Flugzeuge von den Airlines kauft und selbst verschrottet oder als Ersatzteile weiterverkauft. Damit, so die Idee, hätten die Airlines und Leasingfirmen einen Anreiz zum Kauf neuer Flugzeuge und für die Regierung entstünden potenzielle Einkünfte aus dem Verkauf von Ersatzteilen. Gerade Leasinggesellschaften wären sicher glücklich über eine staatlich subventionierte Flottenerneuerung – wäre da nicht das Nachfrageproblem vonseiten der Airlines. Denn die haben, Prämie hin oder her, eher wenig Interesse am Kauf oder Leasing neuer Flugzeuge, solange sich die Passagierzahlen nicht deutlich erholen.

Abrüstung

Eine ganz andere Bedeutung hat die Lagerung zerlegter Flugzeuge unter freiem Himmel übrigens für militärische Fluggeräte. Im Rahmen des Abrüstungsabkommens «START» (Strategic Arms Reduction Treaty) verpflichteten sich die USA und die Sowjetunion unter anderem zur Reduktion ihrer strategischen Bomberflotte. Dafür wurden Bomber in grosse Einzelteile zerlegt. Diese mussten dann für mindestens 90 Tage gut sichtbar unter freiem Himmel gelagert werden, damit sie von den Aufklärungssatelliten der Gegenseite erfasst und ihre Abrüstung bestätigt werden konnte.

Hotspot für Touristen

Alternativ kann man alte Flugzeuge auch einfach im Meer versenken. Vor der Küste von Bahrain wurde letztes Jahr eine Boeing 747 in 20 Metern Tiefe versenkt. Auf dem Grund des Golfs von Saros in der türkischen Ägäis liegt mittlerweile eine alte A330, ausrangiert im Jahr 2018. Seither dienen die beiden Flieger als aussergewöhnliche Tauchreviere, die zahlungskräftige Touristen anlocken sollen. Was beweist, dass selbst für Flugzeuge das Leben nach der Pensionierung weitergehen kann.

Dive bahrain – Your new diving adventure starts in Bahrain
Verfasst von: aeropersredaktion | 19/09/2020

Zu wenig Arbeit für zu viele Mitarbeiter

Die letzten Jahre waren in der Luftfahrtbranche von grossem Wachstum geprägt. Viele Flug-gesellschaften und Flugzeughersteller sprachen von einem anstehenden Pilotenmangel. Durch die Corona-Pandemie hat sich dies komplett geändert. Die Fluggesellschaften gehen mit der neuen Situation bisher sehr unterschiedlich um.

Text: Dominik Haug

Die Luftfahrt wuchs und wuchs. Selbst die Anschläge vom 11. September 2001 oder die Finanzkrise 2008 konnten dieses Wachstum nur kurzzeitig und in geringem Ausmass bremsen. Alle Fluggesellschaften gingen von einem weiterhin steigenden Bedarf an Piloten aus. Manche Gesellschaften und Flugzeughersteller sprachen sogar von einem bevorstehenden Pilotenmangel – insbesondere in den USA und in Ostasien. Auch die «Rundschau» berichtete in der Ausgabe 03/2018 über dieses Thema.

Durch die Corona-Pandemie ist der Flugverkehr auf der ganzen Welt in noch nie da gewesenem Ausmass zusammengebrochen und teilweise gar zum Erliegen gekommen. Kaum eine Fluggesellschaft mit interkontinentalem Flugverkehr kann diese Krise ohne staatliche Unterstützung oder Garantien überleben. Wirtschaftswissenschaftler gehen bekanntermassen davon aus, dass die Wirtschaftskrise, die auf die Pandemie folgen wird, bis mindestens 2023 deutliche Folgen hinterlässt. Selbst danach rechnet die Branche noch mit einer geringeren Nachfrage als im Jahr 2019. Nach manchen Einschätzungen wird das Vor-Corona-Niveau erst im Jahr 2026 erreicht werden. Aufgrund dieser Wirtschaftskrise und dem längerfristig stagnierenden Wachstum werden viele Fluggesellschaften nicht nur während der Pandemie ein Personalproblem haben. Die Fluggesellschaften gehen damit sehr unterschiedlich um. Nur teilweise ist dies den politischen Rahmenbedingungen geschuldet.

Die Entwicklung in der aktuellen Krise ist sehr schnell und täglich kommen neue Meldungen hinzu. Die nachfolgende Auflistung entspricht daher dem Stand des Redaktionsschlusses am 17. August. Sie soll dabei nur einen Ausschnitt der momentanen Situation zeigen.

Die Kurzarbeitsvereinbarung bei SWISS und Edelweiss ist den meisten Lesern bestens bekannt. Dieser Artikel konzentriert sich daher auf die Situation bei anderen Fluggesellschaften.

SAS – Scandinavian Airlines

Von den ungefähr 11 000 Mitarbeitern vor der COVID-19-Pandemie wurde die Mehrheit im Frühjahr bezahlt nach Hause geschickt. Durch die unterschiedlichen Stationierungen in Dänemark, Schweden und Norwegen gibt es kleine Unterschiede in den genauen Modalitäten. In Dänemark beispielsweise wurde 85 Prozent des Salärs ohne Pensionszahlungen bezahlt. Im Gegensatz zu den Angestellten der klassischen SAS wurden die Mitarbeiter der neueren SAS Ireland (SAIL) ohne Bezahlung freigestellt. Seit dem Streik im Jahr 2019 ist das Verhältnis zwischen Piloten und Management nicht mehr das beste. Die Kommunikation in der aktuellen Krise ist jedoch gut.

In Dänemark wird seit Juli wieder das volle Salär ausbezahlt und auch wieder 100 Prozent gearbeitet. China und Hongkong werden mit Cargoflügen ohne Layover bedient. Dafür werden sieben Piloten – drei für den Hinflug und vier für den Rückflug – eingesetzt.

In Schweden liegt die Arbeitsbelastung bei nur 40 Prozent. Mit der Unterstützung durch die schwedische Regierung erhalten die Angestellten 90 Prozent des Lohns ausbezahlt. In Norwegen sind die Langstreckenpiloten noch zu Hause. Ihr Salär beschränkt sich auf die staatliche Unterstützung. Am Tiefpunkt der Produktion in Norwegen waren nur noch sieben B737 für Inlandflüge in Betrieb. Mittlerweile werden wieder 15 dieser Flugzeuge betrieben.

Momentan gibt es noch keine konkreten Veränderungen in den Arbeitsbedingungen. SAS möchte die Kosten längerfristig um 25 Prozent senken. Der Ramp-up gestaltet sich langsamer als erwartet. Momentan werden mit drei A330 nur Newark, Chicago und San Francisco angeflogen. Auf der Kurzstrecke werden rund 50 Prozent der ursprünglich geplanten Flüge angeboten.

Nach Angaben des Managements sind 650 Piloten zu viel bei SAS angestellt. Durch Frühpensionierungen zum 1. Juli konnten 100 Stellen gesichert werden. Die verbleibenden 550 überzähligen Piloten haben ihre Kündigung erhalten und die dienstjüngsten Mitarbeiter sind bereits seit dem 1. August nicht mehr bei SAS angestellt. Rund 75 Kurzstreckenkapitäne werden an jeder der drei Basen wieder als First Officers angestellt werden.

Durch den Betrieb der SAS Ireland (SAIL) ist das Verhältnis zwischen Management und Piloten beschädigt. Die neuen Pläne des Managements, ein weiteres AOC für Kurzstreckenflüge mit 100 bis 150 Passagieren zu gründen, sorgt für weiteres Misstrauen. Die Gewerkschaften haben neue Teilzeitvereinbarungen vorgelegt, um einen Grossteil der Kündigungen zu verhindern. Diese wurden vom Management aber abgelehnt, da sie an die Aufgabe der Pläne des neuen Kurzstrecken-AOCs geknüpft waren.

Icelandair

Mitte Juli wurde bekannt, dass Icelandair sämtliche Kabinenmitarbeiter entlassen hat. Die Fluggesellschaft tat dies, da die Verhandlungen mit den Vertretern der Kabinenmitarbeitern nicht erfolgreich verlaufen waren. Vorübergehend sollten die Piloten die Tätigkeiten der Kabinenbesatzung übernehmen. Ende Juli konnten sich die Parteien dennoch auf einen neuen Vertrag einigen.

British Airways

Auch die grösste britische Fluggesellschaft musste den Grossteil der Flotte auf den Boden stellen: Alle A380, alle Boeing 747, alle Flugzeuge in London Gatwick und einen Grossteil der A320 und Boeing 777 in London Heathrow. Mitte Juli wurde auch bekannt, dass British Airways ihre Boeing 747-400-Flotte mit sofortiger Wirkung stilllegt. Über den Fortbestand der A380 und der Kurzstreckenoperation von London Gatwick aus gibt es bisher nur Gerüchte. Die Kommunikation zwischen der Fluggesellschaft und ihren Arbeitnehmern war sehr mangelhaft. Es wurde nur über die Arbeitnehmervertretung BALPA (British Airline Pilots Association) kommuniziert. Weitere Informationen erhielten die Mitarbeiter über die Medien. British Airways möchte ohne staatliche Unterstützung durch die Krise kommen. Damit dies gelingen kann, ist ein umfangreiches Sparpaket notwendig. Zu Beginn der Krise wurde eine unbezahlte Freistellung von acht Wochen über einen Zeitraum von drei Monaten vereinbart. Auch bei den Flight Time Limitations gibt es Ausnahmen. So wird mit sieben Piloten nach Peking, Shanghai und an vergleichbare Destinationen geflogen. Diese Flüge finden auf freiwilliger Basis statt. Zur weiteren Kostensenkung wurden bei der Regionaltochter Cityflyer erste Basen geschlossen. Den Piloten des Unternehmens wurde ein neuer Arbeitsvertrag mit schlechteren Konditionen vorgelegt. Die Fluggesellschaft hat mit der Kündigung sämtlicher Piloten gedroht, falls die neuen Anstellungsbedingungen abgelehnt würden. Ausserdem wurde in Aussicht gestellt, dass keine geringe Anzahl an Piloten ohne Chance auf Wiedereinstellung entlassen würden. Diese Drohungen veranlassten die Gewerkschaft dazu, auf die Forderung der Fluggesellschaft einzugehen und die neuen Bedingungen zu akzeptieren. Dadurch konnten die Kündigungen massiv reduziert werden. Die neuen Arbeitsbedingungen sind sehr komplex. Bisher akzeptiert wurde eine langfristige Gehaltskürzung von acht Prozent. Über den Zeitraum von zwei Jahren gibt es eine temporäre Gehaltskürzung in gleicher Höhe. Diese temporäre Gehaltskürzung wird dann schrittweise verringert, da die Anzahl überzähliger Mitarbeiter sinken wird. Ausserdem wurden Teilzeitmöglichkeiten und freiwillige Kündigungen angeboten. Bei den Kündigungen liegt die Entschädigung bei lediglich zehn Prozent über dem gesetzlichen Minimum. Momentan hat die Fluggesellschaft ungefähr 300 Piloten, die zwar nicht entlassen sind, aber auch keine Möglichkeit haben, ihre Arbeit auszuüben. Dies betrifft Kapitäne und First Officers. Diesen 300 Piloten – hauptsächlich auf der A320-, der A380- und der B747-Flotte – wird ein reduzierter Lohn ausbezahlt. Die Finanzierung dieser 300 Piloten erfolgt durch die temporäre Gehaltsreduktion der übrigen Piloten. Eine Wiedereinstellung aus dieser Gruppe erfolgt nach Seniorität. Falls nach dem Ablauf von zwei Jahren noch nicht alle 300 Piloten wiedereingestellt sind, wird es einen neuen Plan geben müssen. Piloten auf den effizienteren Flotten A350 und B787 sind vor Entlassung sicher. Ansonsten wird der mögliche Stellenabbau aufgrund disziplinarischen oder leistungsabhängigen Gründen vorgenommen, danach nach der Senioritätsliste. Über einen Zeitraum von drei Jahren haben die entlassenen Piloten das Anrecht vor neuen Piloten wiedereingestellt zu werden. Die gute Vertretung der British Airways-Piloten durch BALPA hilft in der aktuellen Krise nicht viel. Der Gewerkschaft sind durch das wenig sozialpartnerschaftliche Verhalten der Fluggesellschaft die Hände gebunden.

In den letzten Monaten war die Stimmung bei British Airways erwartungsgemäss schlecht. Seit dem Pilotenstreik letzten September waren die Gewerkschaft und die Fluggesellschaft darum bemüht, das Verhältnis wieder zu verbessern. Das ist durch die Corona-Pandemie hinfällig geworden. Die lückenhafte und pessimistische Kommunikation hilft nicht, die Stimmung in der Belegschaft zu verbessern.

Um mehr Geldmittel zu generieren, plant die Fluggesellschaft Teile ihres Kunstinventars zu verkaufen. Die Airline soll schon Kontakt zum Auktionshaus Sotheby’s aufgenommen haben. Die Sammlung umfasst über 1500 Kunstobjekte aus der Geschichte der Airline, wovon rund zehn zum Verkauf stehen sollen – jedes mit einem Wert von rund einer Million britischer Pfund.

Air France KLM

Auch die grösste französische Fluggesellschaft erhält staatliche Unterstützung. Die Hilfe besteht aus einem Bankkredit von vier Milliarden Euro und einem Kredit von der Regierung über weitere drei Milliarden Euro. Als Bedingung für diesen Kredit muss die Fluggesellschaft bestimmte Rentabilitätsziele erfüllen und den CO2-Ausstoss senken.

Der niederländische Staat ist mit 14 Prozent an der Fluggesellschaft KLM beteiligt. Die staatliche Unterstützung in Form von Staats- und Bankkrediten beläuft sich bei KLM auf 3,4 Milliarden Euro.

Air France ist durch den strikteren Lockdown in Frankreich stärker als KLM getroffen. Die Fluggesellschaft versucht hauptsächlich durch Pensionierungen, einen Einstellungsstopp und freiwillige Kündigungen die Krise zu überstehen.

Easyjet

Im Frühjahr stand die komplette Flotte von Easyjet am Boden. Im gesamten Konzern steht rund ein Drittel der Arbeitsplätze auf der Kippe. Easyjet hat als transnationale Fluggesellschaft von Land zu Land unterschiedliche Arbeitsverträge abgeschlossen und unterliegt dem jeweiligen Arbeitsrecht. Es ist auch für die Arbeitnehmervertretung schwierig, sich über Landesgrenzen hinweg zu organisieren.  Die Flotte soll um zehn Prozent verkleinert werden. Für das laufende Jahr rechnet Easyjet mit nur 30 Prozent der Flüge im Vergleich zum Vorjahr – frühestens im Jahr 2023 ist mit einem Bedarf wie im Jahr 2019 zu rechnen. In einer internen Umfrage zur Arbeit des Managements drückten 99 Prozent der Mitarbeiter ihr Misstrauen gegenüber dem neuen COO aus. Peter Bellew wechselte Ende 2019 von Konkurrent Ryanair zu Easyjet. Der bekannte «Orange Spirit» scheint, nach internen Aussagen, auf Managementebene verloren zu sein.

Zu Beginn der Pandemie beantragte auch Easyjet recht schnell Kurzarbeit für ihre Angestellten in Deutschland. Die Fluggesellschaft hat die Kurzarbeitsentschädigung freiwillig um zehn Prozent aufgestockt und weitere zehn Prozent als vorübergehendes Darlehen ausgelegt. Anfang Juli wurde bekannt, dass in Berlin langfristig ungefähr die Hälfte der Flugzeuge wegfallen sollen. Dieser Schritt ist nach Aussage des Managements nötig, da die Nachfrage nach der Pandemie insbesondere für Inlandflüge geringer sein wird und viele Strecken ab Berlin nicht mehr rentabel sein werden. Nach Aussage der Gewerkschaft ver.di sollen 734 der 1540 Arbeitsplätze am Standort Berlin gestrichen werden.

Emirates

Auch Emirates hat grosse Teile der Flotte auf den Boden gestellt. Zeitweise waren alle 115 Airbus 380 und 130 von insgesamt rund 150 Boeing 777 gegroundet. Mittlerweile fliegen wieder rund 50 bis 60 B777 und weniger als zehn A380. Dubai und die Vereinigten Arabischen Emirate sind stark von Importen abhängig, insbesondere bei Nahrungsmitteln und Medikamenten. Daher sind die Frachtpreise enorm angestiegen. Aufgrund der grossen Nachfrage wird Fracht in der Kabine transportiert und einige Sitzreihen wurden dafür ausgebaut. Die genauen Zahlen hierzu gibt Emirates nicht bekannt.

Die Kommunikation zwischen der Firma und ihren Angestellten war nicht nur schlecht, sondern nicht existent. Das Management verschickte während der gesamten Krise lediglich im März eine E-Mail an die Belegschaft. Dadurch entstanden eine Menge Gerüchte und Halbwahrheiten. Viele Angestellte machen sich derart grosse Sorgen um ihre berufliche Zukunft, dass einige von ihnen im Minutentakt ihr E-Mail-Postfach kontrollieren.

Es soll bei Emirates bereits um die 1500 Kündigungen bei den Piloten gegeben haben. Von den 1830 A380- Piloten bei Jahresbeginn sollen heute noch rund 700 angestellt sein. An einem einzigen Tag seien 800 Piloten entlassen worden. Offizielle Zahlen veröffentlichte die Fluggesellschaft jedoch nicht. Die Kündigungen wurden per E-Mail mitgeteilt. Zwar konnte man bei Managementpiloten nachfragen, wieso gekündigt wurde, die Auswahl erscheint dennoch willkürlich und unabhängig von der eigenen Leistung oder Seniorität. Gerüchten zu-folge spielten Krankheitstage und Kosten für die Familie, wie Schulzugang oder Gesundheitskosten, eine Rolle. Was jedoch sicher und klar kommuniziert wurde, ist, dass die Entscheidung endgültig und Einspruch nicht möglich ist. Dieses Verhalten ist nur möglich, da in den Vereinigten Arabischen Emiraten Gewerkschaften verboten sind. Die Angestellten sind der Willkür des Arbeitgebers komplett ausgeliefert. In guten Zeiten mit vielen Vergütungen und Extraleistungen, in schlechten Zeiten mit der schnellen Kündigung.

Das Salär wurde für die Monate von April bis September um die Hälfte gekürzt. Da auch Flugentschädigungen wegfallen, ist das ausbezahlte Salär eher bei lediglich 40 Prozent des vertraglich festgelegten Lohns anzusiedeln. Die gekündigten Mitarbeiter erhielten während der 90 Tage Kündigungsfrist das volle Salär.

Die Flight Time Limitations sind in der aktuellen Krise voller Ausnahmen. Teilweise wurden Turnarounds auf der Langstrecke mit acht Piloten geflogen.

Die Zukunftsaussichten bei Emirates sind sehr unsicher. Da auch hier keine Kommunikation seitens des Managements erfolgt, breiten sich ebenfalls Gerüchte aus. Die einzige sichere Aussage der Fluggesellschaft ist, dass in absehbarer Zukunft keine Wiedereinstellungen möglich sein werden. Auch Emirates rechnet mit 24 bis 36 Monaten, bis die Krise grösstenteils überwunden sein wird. Aufgrund des guten Produkts und der geografischen Lage stehen die Chancen nicht schlecht, dass Emirates die Krise vergleichsweise gut überstehen kann. Die soziale Verantwortung des Arbeitgebers spielt beim Ticketkauf selten eine Rolle! Gemäss Medienberichten wirbt Emirates damit, die Kosten für die medizinische Behandlung oder die Beerdigung nach einer COVID19-Erkrankung zu übernehmen, falls die Infektion an Bord eines Emirates-Flugzeugs erfolgte.

Sunexpress Deutschland

Sunexpress bestand seit 1989 als Joint Venture zwischen Lufthansa und Turkish Airlines. Die Fluggesellschaft war auf Ferien- und ethnischen Verkehr spezialisiert. Seit 2011 bestand mit Sunexpress Deutschland die dortige Tochter. Die deutsche Sparte betrieb unter anderem sieben Airbus 330 im Wet Lease auf der Langstrecke für Eurowings sowie zwei Boeing 737, die direkt für die Lufthansa im Europaverkehr unterwegs waren. Der Betrieb der Sunexpress Deutschland wurde eingestellt und den Mitarbeitern auf den 1. September gekündigt. Nach Auffassung der Vereinigung Cockpit trägt die Lufthansa durch ihre Beteiligung an Sunexpress auch soziale Verantwortung für die Belegschaft. Dies vor allem auch, da die Hälfte der Flotte für die Lufthansa-Tochter Eurowings und zwei weitere Maschinen für die Lufthansa direkt geflogen sind.

Ryanair

Mitten in der Corona-Krise fällt Ryanair wieder in altbekannte, mitarbeiterfeindliche Verhaltensmuster zurück. In den vergangenen Jahren wurde in harten Tarifverhandlungen mit der in Deutschland als Piloten-Arbeitgeber fungierenden Tochtergesellschaft Malta Air viel erreicht. Das alles soll jetzt zum Grossteil im Zeichen von Corona und im Schatten der Probleme anderer Airlines über Bord gekippt werden.

Ryanair hat den Sitz der Tochter Lauda Europe von Wien nach Malta verlegt. Alle Airbus-Flugzeuge der Flotte werden in Zukunft mit maltesischer Registrierung im Dienst stehen. Diese neue Fluggesellschaft wird ab dem Winterflugplan 2020 sämtliche Flüge durchführen und die frühere Wiener Laudamotion wird zum Jahresende aufgelöst. Die Basen in Düsseldorf, Palma und Wien sind vom Umzug nicht betroffen. Sie werden auch in Zukunft bestehen bleiben – unter maltesischer Flagge.

In Deutschland stationierte Ryanair-Piloten gaben den Forderungen nach einem Gehaltsverzicht nach. Im Gegenzug will das Management um Michael O’Leary angekündigte Standortschliessungen eventuell aufheben. Die Verhandlungen mit dem Kabinenpersonal laufen noch. Ryanair-Piloten an deutschen Flughäfen erhalten bis 2024 im Schnitt 20 Prozent weniger Gehalt, behalten aber ihre Arbeitsplätze. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit habe den Vorschlag am Ende Juli akzeptiert, sagte Ryanair-Chef Michael O’Leary. Ryanair hatte zuvor mit der Schliessung der Basen Hahn, Berlin und Weeze gedroht – die Stellen von Rund 170 Piloten der Tochterfirma Malta Air standen auf der Kippe. Nach dem Einlenken der Piloten werde sich Ryanair mit der Standortfrage «noch einmal befassen», sagte O’Leary in einem Interview.

Condor

Condor rechnet wegen der Folgen der Corona-Krise mit einem Stellenabbau. Einen zweiten Anlauf für den Verkauf des staatlich geretteten Ferienfliegers erwartet Airline-Chef Ralf Teckentrup nicht vor Ende 2021. Lufthansa fällt seiner Einschätzung nach als Investor für Condor aus. Condor geht kleiner aus der Luftfahrtkrise hervor. «Ich denke, wir werden, wie die anderen Fluglinien auch, etwa 15 bis 25 Prozent der Stellen abbauen müssen», sagte Ralf Teckentrup in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». «Das wären bei uns zwischen 650 und 1000 Stellen.»

Grundsätzlich sei Condor im Schutzschirmverfahren, das schon vor der Corona-Krise begonnen habe, erfolgreich restrukturiert worden. Das Verfahren wird dem Chef der Fluggesellschaft zufolge noch bis voraussichtlich Ende September laufen. «So können wir Verträge schneller kündigen, wie etwa für unsere Unternehmenszentrale.» Nach dem Rückzieher des polnischen Investors PGL/LOT bleibt Condor zunächst auf sich gestellt. «In der aktuellen Krise denkt niemand an Übernahmen», sagte Teckentrup. «Ich denke daher, dass wir frühestens Ende nächsten Jahres einen neuen Verkaufsprozess starten werden und frühestens 2022 einen Käufer präsentieren können.»

Wizzair

Der ungarische Low-Cost-Carrier zeigt sich trotz Pandemie optimistisch und ehrgeizig. Nach eigenen Angaben fliegt Wizzair rund zehn Prozent der Flüge, die mit rund 75 Prozent gut ausgelastet sind. Im Gegensatz zu den eigenen Angaben gibt es Berichte, dass Wizz-air auch fast leere Flüge durchführt. Hauptsächlich auch deswegen, um für gebuchte, aber nicht genutzte Tickets keine Erstattung leisten zu müssen. Viele gebuchte Wizzair-Passagiere konnten dem Vernehmen nach ihre Flüge nicht antreten, weil die national weiter geltenden Lockdown-Regeln dies unmöglich machten. Der Chef der Fluggesellschaft Józséf Váradi kritisiert die Reisebeschränkungen massiv. Er fordert ein Aufheben der Beschränkungen, um die Freiheit seiner Kunden zu schützen. Anfang August erhielt ein Flugzeug von Wizzair in Athen keine Landeerlaubnis. Die Fluggesellschaft hatte die Einreisebestimmungen nicht befolgt und ihre Passagiere nicht wie gefordert vorab kontrolliert. Trotz Ermahnung durch die griechischen Behörden, wurde dies nicht nachgeholt. Griechenland zeigte sich mit Entzug der Landeerlaubnis konsequent in der Umsetzung der Vorschriften. Es stellt sich also die Frage, ob Wizzair tatsächlich so sehr um ihre Passagiere und nicht viel mehr um das eigene Portemonnaie bemüht ist.

Im Jahr 2019 hat Wizzair 345 Millionen Euro Gewinn gemacht. Trotz der Corona-Krise hält Wizzair an ihren Wachstumsplänen fest und will 2020 neun neue Flugzeuge in Betrieb nehmen und so die Kapazität um neun Prozent erhöhen. Gleich achte neue Strecken wurden kürzlich in Betrieb genommen. Die Basis in London Gatwick soll ebenfalls ausgebaut werden. Der dortige Wegfall von Virgin Atlantic und British Airways, die sich beide auf London Heathrow beschränken werden, machen am Flughafen im Süden von London Platz frei. Die Fluggesellschaft bietet seit Juni von seinem neuen Hub in Abu Dhabi Flüge nach Osteuropa an. Wizzair hat ausserdem 20 A321XLR (Xtra Long Range) bestellt. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn bald Langstreckenflüge angeboten würden. Die Expansionspläne betreffen auch den deutschsprachigen Raum. In Dortmund hat Wizzair mitten in der Corona-Pandemie eine neue Basis eröffnet und drei A320 stationiert. Es werden hauptsächlich Urlaubsziele im Mittelmeerraum angeflogen. Wizzair forderte vom Flughafen Dortmund eine Verlängerung der Landebahn, um auch mit A321neo von Dortmund aus zu operieren. Der Flughafen hat den Umbau gerade beantragt.

Wie sind solche hochtrabenden Pläne mit einer Krise vereinbar? Man spart einfach anderenorts, namentlich bei den Mitarbeitern. Bereits bis Juni hat man sich von 1000 Mitarbeitern getrennt. Sie können sich nach Váradi Hoffnungen auf eine Wiedereinstellung machen. Generell hat man gegenüber den eigenen Mitarbeitern bei Wizzair eine interessante Einstellung. So sagte der CEO gegenüber «aerotelegraph.com»: «Gewerkschaften zerstören das Geschäft. Das ist auch eines der Probleme bei Lufthansa. Wenn die Gewerkschaften versuchen, uns zu erwischen, dann schliessen wir einfach die Basis und ziehen weiter. Das ist das Schöne bei einer Airline, die so flexibel ist wie unsere: Wir können einfach unsere Flugzeuge zu einem anderen Flughafen verlegen.»

Gemeinsam durch den Sturm

In der aktuellen, weltweiten Krise wird deutlich, dass eine funktionierende Arbeitnehmervertretung für die Angestellten existenziell wichtig ist. In Ländern und bei Fluggesellschaften, die keine Arbeitnehmervertretung haben, sind die Mitarbeiter vor willkürlichen Kündigungen oder direkt beschlossenen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen nicht geschützt. Bei uns in der Schweiz hat Helvetic Airways noch vor Beantragung der Kurzarbeit einige Piloten entlassen. Es zeigt sich aber auch, dass einzig das Vorhandensein einer Arbeitnehmervertretung nicht ausreichend ist. Entscheidend ist, ob das Verhältnis zwischen Arbeitnehmervertretung und Arbeitgeber sozialpartnerschaftlich ist. Nur gemeinsam lassen sich Wege finden, die Krise bestmöglich zu bewältigen. Auch am Ende der Krise müssen noch genügend motivierte und qualifizierte Mitarbeiter an Bord sein. Gleichzeitig muss die Fluggesellschaft aber noch existieren und idealerweise wettbewerbsfähig sein.

Es ist aber genauso wichtig, dass die Mitglieder ihren gewählten Arbeitnehmervertretern vertrauen und sie unterstützen. Für aussenstehende Verbandsmitglieder sind die ganzen Hintergründe und Pläne nicht immer klar ersichtlich. Hier ist es dann wichtig, den Entscheidungsträgern des Verbandes zu vertrauen.

Die Kostenstruktur der Verträge bei der SWISS und der Edelweiss waren bereits vor der Krise günstig aufgestellt. Das ist eine gute Voraussetzung, erfolgreich durch diese Krise zu kommen. Bei möglichen Spar- und Restrukturierungsmassnahmen ist es auch wichtig, das langfristige Wohl der Mitarbeiter im Blick zu haben – so wie es die AEROPERS in ihrer Strategie vorsieht!

Verfasst von: aeropersredaktion | 14/12/2019

Vater werden ist nicht schwer …

… Vater sein dagegen sehr. Das besagt ein altes Sprichwort, und es gilt nicht zuletzt beim heftig diskutierten Thema Vaterschaftsurlaub. Werfen wir einen Blick hinter die Regelungen in der Schweiz, im Ausland und auf die Situation bei der SWISS.

Text: Patrick Herr

Um es vorwegzunehmen, der Autor dieses Artikels ist von der Thematik nicht direkt betroffen. Doch als mir ein guter Freund kürzlich berichtete, wie anderswo mit dem Thema Vaterschaftsurlaub umgegangen wird, bin ich trotzdem hellhörig geworden. Er erzählte mir von paradiesischen Zuständen, von monatelangem Vaterschaftsurlaub, versüsst mit grosszügiger staatlicher Unterstützung. Von verständnisvollen Arbeitgebern, für die die Nachwuchssorgen ihrer Mitarbeiter kein Ärgernis sind. Doch dazu später mehr. In diesem Magazin weisen wir oft auf die Grundaufgaben der AEROPERS hin. Eine besonders wichtige darunter ist die «Schaffung und Gestaltung zukunftsfähiger Anstellungsmodelle». Diese Klausel ist Teil der Statuten unseres Verbands. Und neben Teilzeitarbeit und Lohnaspekten gehört dazu eben auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie es sein könnte …

Werfen wir einen Blick in Nachbars Garten, genauer gesagt nach Deutschland. Werdende Eltern in Deutschland haben Anspruch auf eine Elternzeit von bis zu drei Jahren. Das gilt sowohl für den Vater als auch für die Mutter. Kann man es sich leisten, könnten beide Eltern also drei Jahre Elternurlaub nehmen und hätten mit gewissen Einschränkungen sogar einen Rechtsanspruch auf die Rückkehr in ihren Beruf. In dieser Zeit wird ein Elterngeld ausbezahlt, das sich nach den vorherigen Verdiensten richtet, maximal jedoch 1800 Euro pro Monat beträgt.

Unser westlicher Nachbar Frankreich garantiert ebenfalls eine Elternzeit von bis zu drei Jahren. Interessanterweise wird sie von den Vätern allerdings kaum in Anspruch genommen. Gerade mal etwa 3 Prozent der Väter in Frankreich bleiben zu Hause – zum Vergleich: In Deutschland sind es 27 Prozent. Schweden, dessen Gesamtkonzept aus Elternzeit, Förderungsmitteln und Kinderbetreuung als vorbildlich gilt, ermöglicht 480 Tage Elternurlaub. Diese Zeit kann zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, jedoch muss jeder Elternteil davon mindestens 60 Tage beziehen.

Das Problem bei alledem: Elternzeit muss man sich leisten können, denn sie bedeutet immer einen Verdienstausfall, egal wie grosszügig die staatliche Unterstützung ausfällt. Das gilt für Vaterschaftsurlaub umso mehr, weil Männer in Europa nach wie vor im Durchschnitt 16 Prozent mehr verdienen als Frauen. Bezieht der Vater Elternzeit, fehlt also im Schnitt ein erheblich grösserer absoluter Betrag in der Kasse, als wenn die Frau länger zu Hause bleibt.

… und wie es ist

Der Blick über die Grenze zeigt auch, wie stiefmütterlich dieses Thema hierzulande bislang behandelt wurde. Doch die Schweiz hat beim Thema Vaterschaftsurlaub nun endlich nachgezogen. Nach zähem Ringen wurde die Initiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» mit dem Begehren für einen vierwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub zurückgezogen. Stattdessen arbeitete das Parlament einen zweiwöchigen bezahlten Urlaub für Väter als indirekten Gegenvorschlag aus. Lediglich der Bundesrat stellt sich gegen eine bezahlte Auszeit für Väter – nach einer Stellungnahme hält das Gremium einen Ausbau der Kinderbetreuung für wichtiger.

Sofern das geplante Referendum nicht zustande kommt, könnten ab Juni 2020 Väter in der Schweiz nach der Geburt ihres Kindes zwei Wochen bezahlten Urlaub einfordern. Die Kosten dafür werden auf 224 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Finanziert werden sollen sie über 0,06 zusätzliche Lohnprozente, die je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bezahlen wären. Wie sich diese zwei Wochen Urlaub im internationalen Vergleich machen, zeigt unsere Grafik. Irène Kälin von den Grünen im Aargau formulierte es während der Debatte im Nationalrat drastisch: «Wir sind familienpolitisch ein Entwicklungsland.»

Immerhin entfällt bei einer derartig kurzen Absenz das finanzielle Problem – da es sich um ganz normalen, bezahlten Urlaub handelt, kann ihn sich jeder Vater leisten. Selbst die Gegner des Vaterschaftsurlaubs erkannten in der Erklärung des Bundesrats an, dass einige seiner Vorteile nicht von der Hand zu weisen sind. Es gilt heute unter Experten als unstrittig, dass Kinder von einer starken Bindung zu den Eltern in ihrer Entwicklung profitieren. Eine solche Bindung entsteht aber nicht automatisch, sondern nur durch gemeinsam verbrachte Zeit. Ist der eine Elternteil viel unterwegs, besteht nach Meinung von Experten das Risiko, dass die Bindung zwischen dem Kind und diesem Elternteil eher oberflächlich bleibt. Ich höre schon den berechtigten Widerspruch: Wenn dem so wäre, dann müssten ja quasi alle Beziehungen zwischen fliegenden Eltern und ihren Kindern oberflächlich sein. Das trifft natürlich nicht zu. Es ist vor allem die Qualität der Beziehung und der gemeinsam verbrachten Zeit, die den Ausschlag gibt. Aber dennoch: Mehr «Quality time» mit dem Kind ist besser als weniger, darüber besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens. Und ein Vaterschaftsurlaub ermöglicht de facto mehr gemeinsame Zeit.

Fliegende Väter

Auch für die Mütter kann es durchaus von Vorteil sein, wenn der Vater nach der Geburt Urlaub bezieht. Neben der Entlastung bei der Erziehung bietet die zusätzliche freie Zeit der Mutter mehr Möglichkeiten, ihren Wiedereintritt in die eigene Karriere zu bewerkstelligen.

Und nicht zuletzt kann der Arbeitgeber von einer grosszügigen Urlaubsregelung profitieren, nämlich in Gestalt eines motivierten Mitarbeiters. Der vielfach bemühte Begriff der Work-Life-Balance spielt für eine stetig wachsende Zahl junger Menschen eine wichtige Rolle. Stimmt die Balance, steigt die Zufriedenheit mit dem Job. Mit der Zufriedenheit steigt auch die Effizienz, und die Krankheitsrate sinkt meist ebenso. Vaterschaftsurlaub trägt in unserem Beruf auch zur Sicherheit bei. Ein frisch gebackener Vater ist mit seinen Gedanken höchstwahrscheinlich eher bei seinem Nachwuchs als bei der Flugvorbereitung – Professionalität hin oder her. Ganz zu schweigen von schlaflosen Nächten und Müdigkeit am Arbeitsplatz. Davon kann wahrscheinlich jeder frischgebackene Vater ein Lied singen. Bei der SWISS meldeten im Jahr 2018 rund 60 Piloten Vaterschaften an.

Unser derzeitig gültiger Gesamtarbeitsvertrag garantiert uns bei der Geburt des eigenen Kindes zwei freie Tage. Das liegt sogar über dem bislang gültigen gesetzlichen Minimum von nur einem Tag und ist auch bei vielen anderen Unternehmen in der Schweiz durchaus so üblich. Zwei Tage, um die emotionale Achterbahnfahrt einer Geburt zu bewältigen und ein bisschen Zeit mit dem Nachwuchs zu verbringen. Danach darf man dann aber auch gerne wieder zur Arbeit erscheinen – topfit und ausgeruht natürlich. Als ich das meinem Freund erzählte, hat er erstmal gelacht. Als er realisierte, dass das mein Ernst war, verging im das Lachen.

Alles über diese zwei Tage hinaus hängt dann vom guten Willen unseres Arbeitgebers ab. Bei der SWISS und bei der Edelweiss ist man offenkundig stets bemüht, eine individuelle Lösung zu finden. Das bestätigen zahlreiche Gespräche. Steht der Geburtstermin fest, wird bereits in der Planungsphase versucht, um diesen Tag herum frei zu planen. Ansonsten sollen kurzfristige Einsatzänderungen in Absprache mit den Vorgesetzten helfen. Zudem kann man versuchen, die Ferien entsprechend zu verschieben. Und wenn es ganz knapp werden sollte, werden die werdenden Väter rechtzeitig von einer Rotation abgezogen. Ein Kollege erzählte mir, dass er nach einem Langstreckenflug geradewegs auf dem gleichen Flugzeug als Passagier wieder zurückgeschickt wurde, als sein Nachwuchs sich früher als geplant ankündigte. All das hilft sicherlich, um bei der Geburt dabei sein zu können. Eine Garantie gibt es aber nicht, es gibt einfach zu viele Faktoren, die der Planung einen Strich durch die Rechnung machen können.

Unbezahlte Vaterschaft

Etwas weniger flexibel wird es dann in der Zeit nach der Geburt. Um Zeit mit dem Nachwuchs zu verbringen, gibt es nach wie vor nichts, das einem richtigen Vaterschaftsurlaub auch nur nahekommt. Es bleiben nur weniger, attraktive Optionen: den Urlaub verschieben (sofern Kontingente verfügbar sind), unbezahlten Urlaub nehmen (sofern Kontingente verfügbar sind) oder Teilzeit beantragen (wenn man 18 Monate auf die Zuteilung warten kann). Gehören beide Elternteile zum fliegenden Personal, kann der unbezahlte Mutterschaftsurlaub von bis zu einem Jahr auch vom Vater bezogen werden. Das Wort, das bei alldem direkt ins Auge springt, ist «unbezahlt». Wer bei der SWISS und der Edelweiss Zeit mit seinem Nachwuchs verbringen möchte, muss sich diesen Luxus erst einmal leisten können. Das gilt auch für viele andere Unternehmen in der Schweiz. Grenzgänger können immerhin auf einen finanziellen Ausgleich hoffen. Lebt die Familie in Deutschland, greift die deutsche Regelung zum Elterngeld. Ein in Deutschland lebender SWISS- oder Edelweiss-Pilot könnte also theoretisch bis zu zwölf Monate unbezahlten Urlaub nehmen und bekäme während dieser Zeit das Maximum an Elterngeld vom deutschen Staat. Das klingt zwar erstmal schön, aber die Variante «Unbezahlter Urlaub» ist eben leider abhängig vom aktuellen Pilotenbestand. Und dass dieser in den meisten Korps nicht gerade üppig ist, ist auch kein Geheimnis. Die Chance auf unbezahlten Urlaub ist also nicht gerade riesig.

Nur zusätzlicher Urlaub würde wirklich helfen. Und zwar mindestens 14 Tage, die flexibel und kurzfristig gesetzt werden können, um etwaigen Änderungen beim Geburtstermin Rechnung zu tragen. Bei 60 Vaterschaften pro Jahr bei der SWISS wären das 840 zusätzliche Urlaubstage für die Cockpitbesatzungen. Wie die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung zum Vaterschaftsurlaub konkret bei der SWISS und der Edelweiss aussehen soll, ist derzeit noch nicht klar. Die Diskussionen hierzu seien erst angelaufen, teilte die SWISS auf Anfrage mit.

Verschiebt man einen anderswo geplanten Urlaub, verschiebt man auch nur das Problem. Urlaub ist nämlich zur Erholung gedacht. Der Anspruch auf Urlaub ist gesetzlich geregelt, und auch sein Zweck ist klar: Er soll die Gesundheit und die Arbeitskraft bewahren. Wenn ich aber meinen Urlaub auf die Zeit um die Geburt meines Kindes verschiebe – wann erhole ich mich dann? Sieht jemand tatsächlich irgendeinen Erholungsaspekt in einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub? Der eigentliche Zweck der Ferientage geht also völlig verloren, so lange für dieses aussergewöhnliche Ereignis keine zusätzlichen Urlaubstage gewährt werden.

Vaterschaft

Nachwuchssorgen

Ich bin froh, in einer Firma zu arbeiten, bei der ein partnerschaftliches Entgegenkommen beim Thema Vaterschaft eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheint. Allerdings basiert das letztlich auf einem Gentleman’s Agreement zwischen dem Vater und der Firma. Und diese Vereinbarung hängt immer von den jeweils involvierten Gentlemen ab. Sie ist nicht garantiert, sie kann nicht eingeklagt werden, und sie kann jederzeit widerrufen werden.

Dass eine Firma, die schon heute über Nachwuchssorgen klagt, weiterhin einen derart rückständigen Umgang mit dem Thema Elternschaft pflegt, ist schwer nachzuvollziehen. Im bisherigen gesetzlichen Rahmen, mit seiner quasi nicht existenten Unterstützung für werdende Väter, lag für die SWISS die Möglichkeit, ein Alleinstellungsmerkmal zu generieren – nämlich Vater-freundliche Anstellungsbedingungen als Motor für mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz und als Lockmittel für potenzielle Bewerber. Die Chance, freiwillig für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen und die PR-Lorbeeren dafür einzufahren, ist erstmal vertan – schade eigentlich.

Einen ganz anderen Aspekt hörte ich kürzlich von einer Freundin, deren Mann nach der Geburt ihrer Tochter drei Monate Vaterschaftsurlaub genommen hatte. Es sei schon schön gewesen, dass der Vater so viel Zeit mit dem Nachwuchs verbringen konnte. Aber mit der Zeit sei er dann doch recht oft bei der Erziehung im Weg gewesen. So hat eben jedes System neben allen Vorzügen auch seine Tücken.

Verfasst von: aeropersredaktion | 29/08/2019

Arbeit – so viel wie nötig, so wenig wie möglich

Die Teilzeitbeschäftigung wird häufig als nicht vollwertig charakterisiert und hatte nicht immer einen guten Ruf. Unterdessen wird Teilzeitarbeit immer beliebter, und viele Arbeitnehmer möchten nicht mehr Vollzeit arbeiten. Gründe hierfür gibt es viele. Auch bei den Piloten der SWISS erfreuen sich Teilzeitverträge grosser Beliebtheit. Selbst monatelange Auszeiten werden üblicher und von den Arbeitnehmern eingefordert.

 Text: Dominik Haug

 Raus aus dem Alltag, Energie tanken, das Leben geniessen und sich weiterentwickeln. Die Gründe für eine Verringerung des Arbeitspensums sind vielfältig. Immer mehr Arbeitnehmer reduzieren ihre Arbeitszeit oder nehmen gar eine komplette Auszeit von ihrem Job. War eine berufliche Auszeit vor einigen Jahren noch auf wenige Berufszweige beschränkt, ermöglichen es heutzutage immer mehr Unternehmen ihren Mitarbeitern, eine temporäre Auszeit zu nehmen.

Teilzeitarbeit – mehr Zeit für sich

Als Teilzeitangestellten versteht man jemanden, der weniger als 90 Prozent arbeitet. Wenn man das Thema im europäischen Vergleich betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, dass die Arbeit im Teilzeitvertrag ein Wohlstandsphänomen ist. So zeigt sich, dass gerade in wohlhabenden Ländern ein grösserer Teil der Arbeitnehmer einen reduzierten Beschäftigungsgrad wählt. Spitzenreiter mit 51 Prozent sind die Niederlande. Platz zwei belegt die Schweiz, in der 39 Prozent der Arbeitnehmer in Teilzeit arbeiten. Mit Österreich, Deutschland und England folgen Länder mit einem ebenfalls hohen Wohlstandsniveau. Am Ende der Liste findet man Kroatien, Ungarn und Bulgarien mit jeweils deutlich unter zehn Prozent Teilzeitarbeitern.

Neben den Unterschieden zwischen den Ländern lässt sich auch ein statistischer Unterschied zwischen den Geschlechtern beobachten. Obwohl die Männer in den letzten Jahren aufholen, stellen die Frauen doch den deutlich grösseren Anteil der Teilzeitnehmer. Im Jahr 2017 waren 59 Prozent der Frauen in Teilzeit angestellt. Bei den Männern waren es lediglich 19 Prozent. Der nahe liegende Grund dafür ist häufig die familiäre Situation. So weisen Mütter, deren jüngstes Kind noch keine vier Jahre alt ist, mit 82 Prozent die höchste Teilzeitquote auf. Bei Vätern in der gleichen familiären Situation liegt der Anteil allerdings nur bei 14 Prozent. Der deutlich höhere Anteil von Teilzeitpensen bei Frauen kann aber nicht ausschliesslich mit der Kinderbetreuung erklärt werden. Denn tatsächlich arbeiten auch in Partnerschaften ohne Kinder Frauen zu 41 Prozent in einem Teilzeitpensum – bei den Männern sind es gerade mal zwölf Prozent.

TZ

Verteilung der Teilzeitarbeitenden in der Schweiz in den Jahren 2000 bis 2019

Deutliche Unterschiede zeigen sich bei den Gründen für eine Teilzeitbeschäftigung. Bei Frauen ist der häufigste Grund die Kinderbetreuung vor «familiären Gründen» auf dem zweiten Platz. Bei den Männern gehen die meisten neben ihrer Teilzeitstelle einer Weiterbildung oder einem Studium nach. Dies spiegelt sich auch bei einem Blick auf das Alter der Teilzeitangestellten wider. Während der Anteil der Teilzeitpensen bei den Frauen zwischen 30 und 50 Jahren am höchsten ist, ist die Quote bei den Männern zwischen 20 und 30 Jahren und dann wieder über 50 Jahren am höchsten.

Ein weiterer wichtiger Beweggrund, der von beiden Geschlechtern fast gleich stark gewichtet wird, ist das generell mangelnde Interesse an einer Vollzeitstelle. Das kann als Indiz dafür gewertet werden, dass gewisse Arbeitnehmer materiell nicht auf eine Vollzeitstelle angewiesen sind. Sie möchten nur so viel arbeiten, wie sie müssen, um ihre Kosten zu decken. Den Rest der Zeit möchten sie lieber für andere Dinge zur Verfügung haben. Insbesondere diese Tendenz ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Unabhängig von der finanziellen Stärke der Arbeitnehmer ist auch die persönliche Gesundheit ein Faktor. Die Arbeitsbelastung ist in vielen Bereichen in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich angestiegen. Viele Arbeitnehmer wählen daher die Teilzeitbeschäftigung zum Selbstschutz. Sie möchten die Belastung reduzieren, bevor Krankheiten wie Burnouts oder Depressionen auftreten. Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, haben sich mittlerweile verschiedene Teilzeit- und Auszeitmodelle etabliert.

Jobsharing – gemeinsam eine Stelle besetzen

Eine relativ neue Art der reduzierten Arbeit ist das Jobsharing. Hier teilen sich mindestens zwei Angestellte eine Vollzeitstelle. Im Allgemeinen gibt es nur eine Stellenbeschreibung für alle beteiligten Angestellten, und diese teilen sich auch die Verantwortung für diese Arbeitsstelle. Im Jahr 2016 arbeiteten 3,7 Prozent aller Arbeitnehmer, beziehungsweise 9,8 Prozent der Teilzeit-
erwerbstätigen im Jobsharing. Bei Frauen, Eltern mit einem Kind unter 15 Jahren und Teilzeiterwerbstätigen mit einem Beschäftigungsgrad zwischen 20 und 69 Prozent ist Jobsharing besonders verbreitet.

Jobsharing und Teilzeit bei der SWISS

Bei der SWISS ist die Möglichkeit des Jobsharings im GAV verankert. Hier können sich zwei Kurzstrecken-piloten, die jeweils ein Arbeitspensum von 50 Prozent haben, eine Vollzeitstelle teilen. Momentan nimmt noch kein Pilot dieses Angebot in Anspruch. Ein anderes Bild zeigt sich beim Blick auf die Anzahl der Piloten, die in Teilzeit angestellt sind. Rund ein Drittel der SWISS-Piloten arbeitet im Teilzeitmodell.

Insbesondere zwischen den Kapitänen und den Ersten Offizieren zeigen sich hier deutliche Unterschiede. So ist beinahe jeder zweite Kapitän der SWISS in Teilzeit angestellt. Bei den First Officer sind es lediglich 15 Prozent. Ein Grund hierfür ist sicherlich der höhere Lohn der Kapitäne. Das höhere Salär erlaubt es ihnen, sich zusätzliche Freizeit zu erkaufen. Was im ersten Moment nach Luxus klingen mag, hat aber vermutlich einen anderen Hintergrund. Die hohe Arbeitsbelastung, die durch neue Arbeitszeitregelungen in den letzten Jahren nochmals deutlich zugenommen hat, lässt sich zu Beginn der Karriere deutlich besser verkraften. Einige dienstältere Kapitäne wollen sich dem Risiko der Überbelastung nicht aussetzen. Daher leisten es sich viele, das Arbeitspensum proaktiv mit einem Teilzeitvertrag zu reduzieren.

Unterschiede zeigen sich auch zwischen Kurz- und Langstreckenpiloten. Bei der SWISS arbeiten beinahe drei Viertel aller Kurzstreckenpiloten Vollzeit. Bei den Kapitänen sind es 60 Prozent, bei den First Officer stolze 90 Prozent. Die Teilzeitquote auf der A320-Flotte ist dabei höher als auf der CSeries-Flotte. Auf der Langstrecke ist die Teilzeitquote deutlich höher. Hier arbeiten nur zwei Drittel aller Piloten im Vollzeitpensum. Bei den Kapitänen sind es sogar nur etwa 50 Prozent. Bei den Ersten Offizieren arbeitet nur jeder Fünfte in Teilzeit. Zwischen den beiden Langstreckenflotten lässt sich kaum ein Unterschied beobachten.

Sabbatical – eine Auszeit nehmen

Einfach mal eine Pause machen und eine Auszeit vom Berufsleben nehmen – das ist für immer mehr Arbeitnehmer wichtig. Deshalb bieten Arbeitgeber vermehrt ein solches Sabbatical, zu Deutsch Sabbatjahr, an. Es klingt auf den ersten Blick sehr verlockend, bis zu einem Jahr bezahlten Sonderurlaub zu nehmen. Laut einer Umfrage in Deutschland sehnen sich 57 Prozent der Arbeitnehmer nach einer solchen Auszeit. In einer Umfrage des Versicherungsunternehmens ARAG geben die meisten Befragten an, dass sie mehr Zeit für sich und ihre Interessen wünschen und dem Stress der Arbeit entfliehen wollen.

TZ

Zeit für sich selbst steht beim Sabbatical im Vordergrund

Einen rechtlichen Anspruch auf ein Sabbatjahr haben bisher leider immer noch die wenigsten Angestellten. Insbesondere in der Privatwirtschaft liegt es am einzelnen Arbeitgeber, ob er eine solche Auszeit anbieten will. Lediglich im öffentlichen Bereich und bei Beamten in Deutschland gibt es teilweise einen Rechtsanspruch darauf. Um eine solche Auszeit zu ermöglichen, haben sich verschiedene Modelle etabliert.

  • Auszeit durch unbezahlte Abwesenheit

Die einfachste und günstigste Möglichkeit für ein Unternehmen ist die unbezahlte Freistellung des Mitarbeiters. So fehlt für diese Zeit nur die Arbeitskraft, es entstehen aber keinerlei Kosten für das Unternehmen. Für den Arbeitnehmer hingegen ist dieses Modell eine grosse finanzielle Belastung. Insbesondere, weil er in der Regel auch für die Sozialversicherungen selbst aufkommen muss. Auch sind in diesem Fall die Beiträge für die Pensionskasse in der Regel pausiert. Die SWISS bietet diese Möglichkeit mit UBU+ an. Allerdings können dieses Angebot jeweils nur wenige Piloten gleichzeitig in Anspruch nehmen.

  • Auszeit durch bezahlten Sonderurlaub

Grundsätzlich könnte eine Auszeit auch als Sonderurlaub gewährt werden. Im Sinne des klassischen Sabbaticals haben nur die wenigsten Arbeitgeber daran ein Interesse. Ob und wie viel Gehalt ausbezahlt wird, ist von Fall zu Fall verschieden. Der Vorteil für den Arbeitnehmer ist aber, dass die Sozialabgaben und der Lohn vom Unternehmen bezahlt werden. Auch ruht das Arbeitsverhältnis nicht, sondern läuft so weiter, als ob der Mitarbeiter seiner Arbeit nachginge.

  • Auszeit durch Lohnverzicht

Üblicherweise wird dieses Sabbatical durch einen vorhergehenden Lohnverzicht finanziert. Das heisst beispielsweise, dass der Mitarbeiter vier Jahre lang nur vier Fünftel seines Vollzeitgehalts ausbezahlt bekommt. Er verzichtet also temporär auf ein Fünftel seines Gehalts. Dieses wird vom Arbeitgeber angespart. Im fünften Jahr nimmt er dann eine einjährige Auszeit und bekommt den bisher angesparten Lohn als Gehalt ausbezahlt. Der grosse Vorteil hierbei ist, dass das Arbeitsverhältnis bei diesem Sabbatical-Modell bestehen bleibt. Der Angestellte bleibt ein normaler Mitarbeiter des Unternehmens mit all seinen Rechten und Pflichten.

  • Auszeit durch Teilzeitarbeit

Dieses Modell ist dem Lohnverzicht recht ähnlich. Vor Beginn des Sabbatjahrs wird eine Teilzeitvereinbarung geschlossen. Der Mitarbeiter arbeitet jedoch weiterhin Vollzeit, er erhält aber lediglich einen Teilzeitlohn. Die Differenz zum Vollzeitlohn wird auch bei diesem Modell angespart. Während der Abwesenheit wird der angesparte Teilzeitlohn dann ausbezahlt.

  • Auszeit durch Guthabenkonto

Auch dieses Modell ist den beiden vorigen recht ähnlich. Hier kann der Arbeitnehmer aber neben Überstunden auch potenzielle Bonuszahlungen, Weihnachtsgelder und andere Extras auf ein Guthabenkonto buchen lassen. Mit diesem Guthaben wird die Abwesenheit finanziert.

Ruhendes Arbeitsverhältnis

Neben diesen Möglichkeiten zur Auszeit ist im GAV zwischen der SWISS und der AEROPERS das «ruhende Arbeitsverhältnis», kurz RAV, festgelegt. Das ruhende Arbeitsverhältnis soll längere Abwesenheiten ermöglichen. Während mindestens sechs Monaten und maximal drei Jahren ruhen sämtliche Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses. Insbesondere ruht der gesamte Versicherungsschutz wie beispielsweise Unfallversicherung und Pensionskassenbeiträge. Im Gegensatz zum klassischen Sabbatical muss sich der Mitarbeiter aktiv um den Wiedereintritt bemühen. Erfolgt dieses Wiedereintrittsgesuch nicht zu den vorgegebenen Fristen, erlischt der Anspruch auf Wiedereintritt. Auch mögliche Karriereschritte verschieben sich durch das RAV nach festgelegten Berechnungen nach hinten. Die meisten Anträge auf ein ruhendes Arbeitsverhältnis erfolgen, um sich weiter- oder umzubilden oder für die Kinderbetreuung.

Unabhängig davon, wie die Auszeit finanziert wird, ist sie eine finanzielle Belastung für den Arbeitnehmer. Die wenigsten Modelle sind voll bezahlt. Die Unternehmen haben wenig Interesse daran, für einen Arbeitnehmer zu bezahlen, dessen Arbeitskraft nicht zur Verfügung steht.

Moderne Arbeitsbedingungen

Allgemein lässt sich erkennen, dass Teilzeitarbeit immer wichtiger wird. Gerade jüngere Menschen und Berufsanfänger legen Wert auf Teilzeitmöglichkeiten und moderne Arbeitsbedingungen. Mittlerweile werden in knapp 20 Prozent der deutschen Unternehmen aktiv Auszeiten gefördert.

Diesen Trend hat die AEROPERS schon länger erkannt. In ihren Zielen hat sie festgehalten, dass sie sich für moderne und attraktive Arbeitsbedingungen einsetzen will. Neben einer langfristigen Auszeit ist auch eine besser planbare Freizeit ein grosses Anliegen der Belegschaft. Selbstverständlich kommen Aviatik-Berufe mit unregelmässigeren Arbeitszeiten daher als Bürojobs. Viele unserer Mitarbeiter bewerten gerade das als positiv. Allerdings ist ein gewisses Mass an planbarer Freizeit trotzdem essenziell. Andere Fluggesellschaften arbeiten mit einem fixen Arbeitsplan, bestehend aus Blöcken von Arbeits- und Freitagen.
Bei der Edelweiss gibt es die Möglichkeit, über einen Teilzeitvertrag fixe Werktage frei zu planen. Es bleibt also abzuwarten, welche Modelle die SWISS mit der AEROPERS in Zukunft aushandeln wird. Denn dem steigenden Bedürfnis der Mitarbeiter nach modernen, flexibleren Arbeitszeitmodellen sollte Rechnung getragen werden.

Verfasst von: aeropersredaktion | 21/07/2019

Die Haltung der AEROPERS zur Flugticketabgabe und Klimadiskussion

AEROPERS wirft der Politik Luftfahrt-Bashing vor. Warum?

Im Moment scheint es sehr populär zu sein, die Luftfahrt an den Pranger zu stellen. Offenbar haben die Landwirtschaft und der Strassenverkehr in der Schweiz eine so grosse Lobby, dass niemand es wagt, auch dort eine konsequente Umsetzung der Klimapolitik zu fordern.

Warum äussern sich die Schweizer Piloten überhaupt zur geplanten Flugticketabgabe?

AEROPERS ist der Verband der Edelweiss- und SWISS- Piloten und äussert sich regelmässig zu Themen, welche den Luftfahrtstandort Schweiz betreffen.

Weshalb sind sie dagegen, wenn sogar Vertreter der Reisebranche damit leben können?

Eine eidgenössische Flugticketabgabe würde aus unserer Sicht primär zu einer Verlagerung und nicht zu einer Reduktion der Flüge führen. Der Einführung einer Steuer, deren Erträge nicht zweckgebunden zur nachhaltigen Reduktion der CO2Emissionen verwendet werden, stehen wir ablehnend gegenüber. Wir plädieren deshalb dafür, die Einnahmen aus einer allfälligen Flugticketabgabe in die Verwendung und Weiterentwicklung von nachhaltigen Treibstoffen zu investieren.

Alle reden vom Klimaschutz – ist das den Piloten egal?

Piloten machen sich vermutlich ebenso viele Sorgen um das Klima wie der Rest der Bevölkerung.

Was tun die Piloten für den Klimaschutz?

Die Schonung der Ressourcen und die Verhinderung von Emissionen sind wichtige Aspekte unserer Arbeit. So werden Flugzeuge etwa nicht einfach vollgetankt, sondern nur soviel Kerosin in die Tanks gefüllt, wie für den Flug (plus sicherheitsrelevanten Reserven) benötigt wird. Je schwerer ein Flugzeug ist, desto mehr Treibstoff wird verbraucht, deshalb hat auch die Menge an Kerosin, die getankt wird, einen Einfluss auf den Verbrauch. Ausserdem bemühen wir uns, An- und Abflüge so sparsam wie möglich einzuteilen, damit möglichst wenig Lärm entsteht und wir Treibstoff sparen können. Im Reiseflug versuchen wir zudem, durch die Wahl der idealen Reiseflughöhe und Reisegeschwindigkeit, den Treibstoffverbrauch so gering wie möglich zu halten. An der Stelle ist auch klar zu betonen, dass die politischen Restriktionen der An- und Abflugrouten in Zürich leider einen nicht unerheblichen Mehrverbrauch und damit unnötige COEmissionen verursachen.

Was wäre denn besser als eine Flugticketabgabe?

Aus Sicht der AEROPERS wäre es sinnvoll, Massnahmen zu treffen, die direkt den CO2-Ausstoss der Luftfahrt verringern. So könnte zum Beispiel die Herstellung und Verwendung von nachhaltigen Treibstoffen gefördert werden. Solche Treibstoffe gibt es bereits und sie sind für die Luftfahrt zugelassen. Da diese im Moment noch wesentlich teurer sind als herkömmliches Kerosin, hätte zum Beispiel die Verpflichtung, einen Teil des Fluges mit diesen nachhaltigen Treibstoffen zu absolvieren, auch den gewünschten Effekt.

Was ist die Meinung der AEROPERS zur Kerosinbesteuerung in der Schweiz?

Eine reine Kerosinbesteuerung in der Schweiz hätte zur Folge, dass die einheimischen Fluggesellschaften benachteiligt würden. Die Konsequenz wäre, dass Reisen via Wien, Istanbul oder Dubai noch einmal wesentlich billiger würden als die Direktflüge ab Schweizer Flughäfen. Die fremden Airlines müssten nur den kürzeren Flug zu ihrem Hub besteuern und könnten den Rest der Reise, zum Beispiel von Dubai weiter nach Singapur oder Bangkok, mit dem billigen Flugbenzin von ihrem Hub bestreiten. Die Schweizer Airlines hingegen müssten von Zürich bis nach Singapur oder Bangkok mit dem besteuerten Kerosin fliegen. Dies würde zu einer weiteren Verzerrung des Marktes und unter anderem zum Abbau von Arbeitsplätzen in der Schweiz führen. Klimaschutz ist ein globales Thema und kann nicht durch Einzelmassnahmen am Standort Schweiz gelöst werden.

Das Interview wurde mit Thomas Steffen geführt. Er ist Mediensprecher und Vorstandsmitglied der AEROPERS und selber Kapitän auf dem Airbus 320 der SWISS.

Verfasst von: aeropersredaktion | 27/10/2018

Verbotene Fracht – Schmuggel in der Fliegerei

Zigaretten, Drogen, Alkohol oder gleich ganze Braunbären: in Flugzeugen wird eine Menge geschmuggelt. Daran beteiligen sich nicht nur Passagiere und Bodenpersonal, sondern mitunter auch Piloten und Flugbegleiter.

bärenkopf

«Es gibt nichts, das es nicht gibt». Schmuggel eines Bärenkopfs, der
vom Schweizer Zoll gefunden wurde.

Text: Patrick Herr

Al Capone, der wohl berühmteste Gangster der amerikanischen Geschichte hat einmal gesagt: «Du kannst keine legalen Steuern auf illegales Geld erheben». Wie wenig seine Meinung von den zuständigen Gerichten geteilt wurde, zeigte seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu elf Jahren Gefängnis. Und doch steckt in seinen Worten eine Wahrheit, die Behörden in aller Welt beschäftigt. Der Schmuggel von Drogen, Waren und Menschen generiert Jahr für Jahr Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich. Während Drogen- und Menschenhandel viel Leid verursachen, entgehen den betroffenen Staaten durch Warenschmuggel auch Milliarden an Steuereinnahmen. Allein durch den Zigarettenschmuggel EU jährlich geschätzt über zehn Milliarden Euro. Wie viel Schaden durch andere Produkte entsteht, ist nur sehr schwer zu schätzen. Schmuggel ist so alt wie die Idee der Steuererhebung selbst und hat mehrere Ursachen. Ist ein Produkt in einem Land nicht oder nur sehr schwer zu bekommen, suchen sich die Kunden andere, manchmal illegale Quellen im Ausland. Ähnlich ist es, wenn ein Produkt durch eine Steuer oder einen Einfuhrzoll zu teuer wird. Generell gilt: je dringender ein Produkt nachgefragt wird, desto stärker floriert der Schmuggel. Das gilt selbstredend vor allem bei Suchtmitteln. Während der Prohibition in den Vereinigten Staaten waren es Männer wie William McCoy, die die lukrative Lücke in der Versorgung mit Alkohol zu füllen versuchten. Mit Schiffen wurden Rum aus der Karibik und Whisky aus Kanada an der Küstenwache vorbei ins Land geschmuggelt und äusserst gewinnbringend weiterverkauft. Syndikate wie jenes von Al Capone übernahmen dann die landesweite Verteilung und den Verkauf an den Endkunden.

Passagiere schmuggeln…

Die Bedeutung der Luftfahrt für den Transport von Schmuggelgütern wächst stetig, insbesondere beim Transport kleiner Waren und kleinen Mengen. Besonders illegale Drogen sind im Gepäck oder im Körper vergleichsweise leicht zu verstecken. Die Kontrollen sind zwar streng und das Entdeckungsrisiko für die Kuriere hoch. Doch Armut treibt viele Menschen an, es trotzdem zu versuchen. Für die Produzenten lohnt sich das Geschäft allemal, auch wenn eine Sendung abgefangen wird. Auch Drogenkartelle denken ökonomisch, daher darf man annehmen, dass einzelne Ausfälle einkalkuliert sind. Wenn Passagiere schmuggeln, tun sie es meist im kleinen Stil. Letztes Jahr wurde in Zürich ein Passagier von Flug LX93 aus Sao Paulo aufgegriffen. Der junge Brasilianer hatte 80 kleine Päckchen Kokain mit einer Gesamtmenge von etwa 800 Gramm geschluckt. Das Risiko für den Kurier ist enorm. Ein geplatztes Päckchen bedeutet fast immer den sicheren Tod. Für dieses Risiko erhielt der Mann vom Drogenkartell umgerechnet 4200 Franken. Doch es geht natürlich auch grösser. Am Frankfurter Flughafen etwa fiel den Zöllnern eine Passagierin aus Brasilien auf. Ihre Jeanshose wirkte seltsam steif. Bei näherem Hinsehen stellte sich schliesslich heraus, dass die Hose mit verflüssigtem Kokain imprägniert war – im Wert von 400 000 Euro.

…und Besatzungen leider auch

Aber auch auf der anderen Seite der Cockpittür geschmuggelt. Bei Alitalia wurde 2007 ein Pilot mit zwei Kilogramm Kokain im Gepäck erwischt. Dummerweise hatte er sich selbst vor dem Flug etwas davon genehmigt und war dadurch aufgefallen. Prominentestes Beispiel unter den schmuggelnden Piloten ist Barry Seal, dessen Treiben kürzlich verfilmt wurde («Barry Seal: Only in America», 2017, mit Tom Cruise in der Hauptrolle). Der mit 20 Jahren seinerzeit weltweit jüngste Boeing 707 Pilot stieg in kurzer Zeit zu einem der grössten Drogenschmuggler der US-Geschichte auf. Zwischen 1975 und 1983 transportierte er mit einer ganzen Flotte privater Transportmaschinen Kokain aus Südamerika in die USA. Die Staatsanwaltschaft schätzte den Wert seiner geschmuggelten Drogen auf unglaubliche drei bis fünf Milliarden Dollar. Die Partnerschaft mit dem Medellin-Kartell und dessen Boss Pablo Escobar machten Seal zu einem sagenhaft reichen Mann. Dies blieb natürlich nicht unbemerkt. Das Finanzamt verlangte Auskünfte, sein Treiben flog auf und er konnte sich nur durch den Einsatz als Spitzel für die CIA vorläufig aus der Affäre ziehen. 1986 wurde er auf offener Strasse von einem kolumbianischen Killerkommando hingerichtet. Doch auch wenn man nicht selbst Pilot ist, kann man sich den Pilotenstatus zu Nutze machen. Das demonstrierten zwei besonders kreative Kuriere in Madrid. Sie besorgten sich Pilotenuniformen und Hüte und taten so, als ob sie zur Crew gehörten. Am Abflugort in Bolivien fiel das scheinbar niemandem auf und man hielt sie für einen Teil der Crew. Erst in Madrid wurden die beiden richtig kontrolliert. In ihrem Handgepäck wurden schliesslich 55 Kilogramm Kokain sichergestellt.

Crew-Gepäck wird seltener kontrolliert

Auch die bevorzugte Behandlung von Crewgepäck wird gerne zur Beförderung von Drogen missbraucht. Auf einem Condor-Flug von Jamaika wurden einige Koffer mit den passenden Labeln versehen und unter das Crewgepäck gemischt. Die optisch perfekt zum Crewgepäck passenden Koffer sollten dann in Frankfurt von drei Mittelsmännern übernommen werden. Sie arbeiteten als Crewbus-Fahrer am Frankfurter Flughafen. Die drei wurden erwischt, als sie das falsche Crewgepäck in Empfang nehmen wollten. In den Koffern waren sechs Kilogramm Kokain versteckt. Aber es müssen nicht immer gleich Drogen sein. In Frankfurt wurden vier Flugbegleiter von Lufthansa dabei erwischt, wie sie im grossen Stil Schrott-Münzen schmuggelten. Alte Ein- und Zwei-Euro Münzen werden nämlich in ihre Einzelteile zerlegt und getrennt als Altmetall verkauft. Eine Bande in China hatte sich darauf spezialisiert, die Teile einfach wieder zusammenzusetzen. Mit Hilfe der vier Flight Attendants schmuggelten sie über drei Jahre hinweg die gewaltige Masse von knapp 20 Tonnen alter Münzen zurück nach Deutschland. Das schadhafte Geld wechselten sie bei der Europäischen Zentralbank in frische Scheine um. Der entstandene Schaden wird auf etwa 20 Millionen Euro geschätzt. . In Neu-Delhi versuchte eine Flugbegleiterin von JetAirways daher, eine Brotzeit der besonderen Art am Zoll vorbei zu schmuggeln. Getarnt als in Alufolie gewickelte Butterbrote, fanden die Zöllner Dollarnoten im Wert von 480 000 Dollar. Die Frau steht im Verdacht, Teil eines international agierenden Geldwäscherings zu sein. Die Fälle offenbaren eine Schwachstelle im System, die von Schmugglern oft und gerne ausgenutzt wird: Flugpersonal und Crewgepäck werden offenbar vielerorts schlichtweg nicht genügend genau kontrolliert. Für Crewgepäck gelten zudem praktisch keine Grössen- und Gewichtsbeschränkungen. Ausserdem ist fliegendes Personal per se viel unterwegs, daher fallen ungewöhnliche Reiseziele oder häufige Flüge zu bestimmten Zielen nicht weiter auf.

Die Schweiz als Schmuggelziel

Auch der Flughafen Zürich ist ein Drehkreuz für den Vertrieb illegaler Waren aller Art. Täglich zieht das Grenzwachtkorps etwa fünf Kilogramm Drogen aus dem Verkehr. Zürich und die Schweiz sind generell ein lohnendes Ziel für Schmuggler. Hohe Einkommen und damit eine hohe Kaufkraft sind ein guter Nährboden für den Kauf und Schmuggel illegaler Waren. Der beste Beweis: in Europa liegt Zürich auf Platz drei beim Kokainkonsum. Das hat eine europaweit durchgeführte Abwasseruntersuchung ergeben. Unter den Top Ten befinden sich ausserdem noch Genf, Basel und St. Gallen. Bei Reisenden aus Ländern wie China, Thailand oder der Türkei halten die Zöllner insbesondere nach gefälschten Markenartikeln Ausschau. Im vergangenen Jahr konnte die Eidgenössische Zollverwaltung 1633 Produkte im Gesamtwert von etwa 15 Millionen Franken aus dem Verkehr ziehen. Der Trend hier ist indes stark rückläufig. 2016 war es noch fast die doppelte Menge. Ob dies tatsächlich auf einen Rückgang der Delikte oder auf raffiniertere Fälschungen zurück zu führen ist, bleibt unklar. Crews gelten beim Grenzwachtkorps im Allgemeinen als kooperativ und recht pflegeleicht, sagt ein leitender Mitarbeiter des Grenzwachtkorps am Flughafen Zürich. Und doch gibt es auch hier immer wieder Fälle von Schmuggel. So wurde auf einen anonymen Hinweis hin ein gewerbsmässiger Zigarettenschmuggel aufgedeckt. Flight Attendants hatten sich im Ausland mit grossen Mengen günstiger Zigaretten eingedeckt und diese dann in der Schweiz über eine Online-Plattform weiterverkauft. Auch wenn Verdacht auf Alkohol- oder Drogeneinfluss besteht, greift das GWK ein. In Zürich wurde ein verhaltensauffälliger Flugbegleiter aufgegriffen. Ein Test ergab, dass er unter Drogeneinfluss stand. In seinem Gepäck fand sich unter anderem eine Crack-Pfeife. Der Fall wurde ans BAZL weitergeleitet und der betroffene Flugbegleiter entlassen. Grundsätzlich findet allerdings kein Datenaustausch zwischen GWK und den Arbeitgebern der betroffenen Crews statt. Erst wenn tatsächlich ein Verfahren eröffnet wird, wird unter Umständen auch der Arbeitgeber informiert. Die Folgen sind drastisch: auch bei der SWISS droht in diesem Fall die Kündigung.

Von Schlangen und Bären

Hin und wieder gibt es aber auch bei der Grenzwache Grund zum Schmunzeln. Etwa dann, wenn ein Kapitän dadurch auffällt, dass Wasser aus seiner Hose tropft. Bei näherer Betrachtung war die Ursache schnell gefunden: das noch halb gefrorene südafrikanische Rinderfilet, das er sich ans Bein gebunden hatte. Ein Rundgang durch die Asservatenkammer am Flughafen Zürich offenbart das ganze Ausmass der Absurditäten an Schmuggelwaren. Neben vergleichsweise harmlosen Gegenständen wie gefälschten Ausweisen und Nummernschildern finden sich hier ganze Elefantenstosszähne, Krokodilköpfe, Schusswaffen und raffinierte Drogenverstecke aller Art. Ein Mitarbeiter der GWK formuliert es prägnant: «Es gibt nichts, das es nicht gibt». Mit Blick auf den Ganzkörperanzug aus Schlangenhaut in der Ausstellung, kann man dem nur zustimmen. Erst im vergangen Jahr ging den Zöllnern ein besonders absurder Fang ins Netz. In einer Kiste, deklariert als Maschinenteile, entdeckten sie zwei ausgestopfte Braunbären. Recht beliebt ist der Schmuggel von Zigaretten in die Schweiz. Die Sache lohnt sich: in der Schweiz kostet eine Schachtel Zigaretten 8,50 Franken. In Osteuropa hingegen ist ein Päckchen bereits ab etwa zwei Franken zu bekommen. Und das sind nur die offiziellen und besteuerten Preise. Hinzu kommen noch illegal produzierte Zigaretten, die etwa in Polen bereits ab zwei Euro pro Päckchen zu kaufen sind. Ein Pärchen aus der Ukraine wollte sich diese saftige Gewinnmarge nicht entgehen lassen. Der Zürcher Zoll erwischte die beiden allerdings bei der Einreise – sie hatten zusammen 1788 Päckchen Zigaretten im Gepäck.

Und die Moral von der Geschicht’ …

Wer mit unerlaubten Waren erwischt wird, muss mitunter mit einem schmerzhaften Bussgeld oder sogar einer Freiheitsstrafe rechnen. Mindestens die geschuldete Abgabe ist fällig, dazu kommt noch ein Bussgeld je nach Schwere des Vergehens. Bei heftigeren Verstössen wie Drogen- oder Waffenschmuggel und auch bei Wiederholungsfällen droht eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren. Dazu kommt dann meist noch eine weitere Haftstrafe, etwa für Drogenhandel oder illegalen Waffenbesitz. Wirklich drastische Fälle unter den Besatzungen von SWISS und Edelweiss sind laut Zollverwaltung nicht bekannt. Es komme aber immer wieder zu unabsichtlichen Delikten, weil etwa Freimengen oder Einfuhrverbote nicht bekannt seien. Gerade die Freimengen ändern sich hin und wieder. Die derzeit gültigen Freimengen zeigt unsere Tabelle. Seit kurzem bietet die Zollverwaltung zudem die kostenlose App «Quickzoll» für Smartphones an. Die App zeigt die aktuell gültigen Freimengen und Einfuhrverbote. Ausserdem können Waren direkt angemeldet und allfällige Zollabgaben bezahlt werden. Gut zu wissen ist auch, dass tierische Erzeugnisse aus Nicht- EU-Staaten und Norwegen mit wenigen Ausnahmen generell nicht eingeführt werden dürfen. Darunter fällt dann leider auch das Rindsfilet aus Johannesburg…

Freimenge
Fleisch und Fleischzubereitungen 1 Kilogramm
Alkoholische Getränke bis 18 % Vol. 5 Liter
Alkoholische Getränke über 18 % Vol. 1 Liter
Zigaretten/Zigarren und andere Tabakerzeugnisse 250 Stück bzw. Gramm
Verfasst von: aeropersredaktion | 30/09/2018

Piloten – von Massen- zur Mangelware

Es scheint, als ob es auf der Welt nur zwei Zustände gäbe: Entweder herrscht Pilotenmangel oder Pilotenüberschuss. In den nächsten Jahren wird ein Pilotenmangel erwartet. Dies betrifft nicht nur Europa, sondern lässt sich weltweit beobachten.

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Text: Dominik Haug

Der Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith hat schon im 18. Jahrhundert über das Marktgleichgewicht gesprochen. Nach diesem regelt der Markt eigenständig Angebot und Nachfrage über den Preis. Sehr vereinfacht dargestellt steigt der Preis, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Umgekehrt sinkt der Preis, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Das lässt sich vom Warenmarkt auch auf den Arbeitsmarkt übertragen. Gibt es zu viele Bewerber auf zu wenige Stellen , so verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Hier entspricht das Angebot den angebotenen Arbeitskräfte und die Nachfrage den zur Verfügung stehenden Arbeitsplätzen.Im umgekehrten Fall steigen die Arbeitsbedingungen und Löhne, wenn es wenige geeignete Bewerber auf viele offene Stellen gibt.

Überträgt man dieses Modell nun auf den Bedarf an Piloten, ergeben sich ein paar Besonderheiten. Denn die meisten Fluggesellschaften haben spezifische Anforderungen an ihre Bewerber. Neben den gesetzlichen Anforderungen, die nur die Lizenz und das medizinische Tauglichkeitszeugnis beinhalten, sind das oft auch eine Mindestanzahl an Flugstunden und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Dadurch ergibt sich für jede Fluggesellschaft eine individuelle Menge an geeigneten Bewerbern. Wie viele Bewerber ein Unternehmen anlocken kann, hängt unter anderem mit den Anforderungen des Unternehmens zusammen. Sehr vereinfacht gesagt, sind die Bewerberzahlen je höher, je niedriger die Anforderungen sind. Denn neben den Ausbildungsstätten der Airlines gibt es eine Vielzahl an Flugschulen, die Linienpiloten ausbilden. Diese Piloten genügen den gesetzlichen Vorschriften, entsprechen aber nicht zwingend den spezifischen Anforderungen aller Airlines. Senkt nun eine Airline ihre Anforderungen, beispielsweise im Bezug auf die benötigten Flugstunden, erweitert sie ihren Bewerberkreis. Gleichzeitig kann sie weniger Lohn und schlechtere Arbeitsbedingungen anbieten. Denn die Abgänger von unabhängigen Flugschulen haben einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für ihre Ausbildung getätigt. Meist müssen sie private Kredite für die sehr teure Ausbildung aufnehmen. Sie sind daher stark auf einen Job angewiesen. Einerseits um die finanzielle Lücke zu stopfen, andererseits um Flugerfahrung zu sammeln. Denn mit mehr Flugstunden haben sie Aussicht auf eine besser bezahlte Anstellung bei einer anderen Airline Erst wenn es nicht mehr genügend Bewerber für die offenen Cockpitstellen gibt, müssen die Fluggesellschaften ihre Arbeitsbedingungen anpassen. So können sie die wenigen Bewerber für sich gewinnen und müssen sie nicht der Konkurrenz überlassen. Lediglich Flugschüler in Nachwuchsprogrammen von Fluggesellschaften sind hier ausgenommen. Durch eine Selektion vor der Ausbildung, stellen die Airlines sicher, dass die Kandidaten den Anforderungen entsprechen. Weil diese hoch sind, sind auch die Arbeitsbedingungen entsprechend gut. Denn nur so lassen sich geeignete Kandidaten anlocken. Das finanzielle Risiko für die Kandidaten ist meist auch sehr gering, weil sie mittels Vorverträgen an die entsprechende Fluggesellschaft gebunden sind.

Situation bei Lufthansa und SWISS

Viele Jahre lang bildete die Lufthansa ihre Nachwuchspiloten an ihrer eigenen Flugschule aus. Diese Ausbildung wurde von der Lufthansa vorfinanziert und stellte so für den Nachwuchs kein finanzielles Risiko dar. Über ungefähr die letzten zehn Jahre baute die Lufthansa eine sehr grosse Warteliste an fertig ausgebildeten Piloten auf. Diese sollten nicht mehr bei der Lufthansa selbst, sondern bei der neuen, sehr stark wachsenden Low-Cost-Tochter Eurowings angestellt werden. Für die jungen Piloten bedeutete dies eine grosse Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ausserdem entschied die Lufthansa vor wenigen Jahren, die Vorfinanzierung der Ausbildung auszusetzen. Flugschüler müssen sich nun die ungefähr 80 000 Euro für die Ausbildung selbst organisieren oder sich um Unterstützung bewerben. Die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Karriereaussichten zusammen mit dem finanziellen Risiko liess die Bewerberzahlen massiv sinken. Mittlerweile sucht die Lufthansa mithilfe kostenintensiver Werbekampagnen nach Nachwuchs, um in Zukunft nicht zu wenige Piloten zu haben.

Bei der SWISS ist die Situation recht ähnlich. Auch hier hat man eine Warteliste an fertig ausgebildeten Piloten, die in der Spitzenzeit bis zu 100 Personen umfasste. Die ausgebildeten Piloten mussten nach Abschluss der Ausbildung mehr als zwei Jahre auf eine Anstellung bei der Swiss warten. Mittlerweile wird diese Warteliste stetig abgebaut. Aufgrund des Flottenwachstums um temporär fünf A319, wovon langfristig drei A319 bleiben und zwei Boeing 777 wird die Warteliste Anfang 2019 komplett leer sein. Die SWISS sucht mittlerweile schon Piloten auf dem freien Markt. Denn die angeschlossene Flugschule kann nicht mehr genügend Nachwuchs ausbilden, um den Personalbedarf zu decken.

Situation in Nordamerika

CNN berichtete Mitte Juli, dass in den USA Piloten bereits jetzt schon knapp sind. Insbesondere ist der regionale Flugverkehr betroffen. Nach Aussagen der Federal Aviation Administration (FAA) betrug die Zahl der Piloten im Jahr 1987 ungefähr 830000. Seither ist die Zahl um knapp 30 Prozent gesunken. Das hat seinen Ursprung in technischen Weiterentwicklungen, längeren Arbeitszeiten und kürzeren Ruhezeiten. Somit lässt sich die gleich hohe Produktion mit weniger Piloten abdecken.

Allerdings erwartet die IATA in den nächsten 20 Jahren eine Verdopplung des Flugverkehrs. Nach einem Bericht von Boeing werden 42 Prozent der Piloten in den USA in den nächsten zehn Jahren ihr Pensionsalter erreichen. Im gleichen Bericht errechnet Boeing einen Bedarf von über 100000 zusätzlichen Piloten in Nordamerika und Australien. Während man dringend Nachwuchs benötigt, beschloss der US Kongress im Jahr 2009, dass ein Pilot mindestens 1500 Flugstunden vorweisen muss, um in einer Fluggesellschaft tätig sein zu dürfen. Diese Hürde zwingt viele Nachwuchspiloten mehrere Jahre für ein geringes Gehalt als Fluglehrer tätig zu sein. Insgesamt sind auch in Nordamerika die Karriereaussichten nicht mehr vergleichbar mit denen, die man noch vor 20 bis 30 Jahren erwarten konnte.

Der Kongress entschied ausserdem im Jahr 2010 die Anzahl von Fatigue-Fällen um fünf bis acht Prozent zu senken. Durch diese Entscheidung wurden nochmals mehr Piloten für die gleiche Anzahl Flüge benötigt.

Die grosse Nachfrage und das gleichzeitig begrenzte Angebot machen sich bei den Arbeitsbedingungen bereits bemerkbar. Gerade Regionalgesellschaften haben ihre Gehaltstabellen nach oben angepasst. Allerdings fehlen den Fluggesellschaften in Nordamerika immer noch eigene Nachwuchsprogramme, wie man sie teilweise in Europa kennt. Auch die Einwanderungspolitik der USA und die wenigen Möglichkeiten eine Arbeitserlaubnis zu erlangen, erschweren die Suche nach geeigneten Piloten aus dem Ausland. Man muss in der Regel schon eine Arbeitserlaubnis für Nordamerika besitzen, um sich bewerben zu dürfen. Diese erlangt man jedoch nur, wenn man einen Arbeitsvertrag hat. Und welcher Pilot wandert schon aus, um dort einer anderen Tätigkeit nachzugehen, um sich anschliessend wieder als Pilot bewerben zu dürfen. 

Situation im asiatischen Raum

Laut dem Bericht von Boeing werden von den 558000 zusätzlichen Piloten über 40 Prozent auf Asien entfallen. Insbesondere chinesische Fluggesellschaften bieten erfahrenen Piloten sehr hohe Gehälter. Kapitäne werden mit Löhnen bis über 300000 US-Dollar angelockt – steuerfrei. Gerade in China, wo das Durchschnittseinkommen sehr gering ist, sind solche Summen aussergewöhnlich hoch. Auch im Vergleich mit anderen Führungspositionen ist die Arbeit noch immer sehr gut bezahlt.

SriLankan Airlines hat beispielsweise seit jeher stetig Piloten an die Fluggesellschaften im mittleren Osten verloren. Mittlerweile sind die Gehälter bei SriLankan Airlines beinahe so hoch wie bei den bekannten Fluggesellschaften aus der Golfregion. Die Lebenshaltungskosten in Sri Lanka sind aber um ein Vielfaches geringer.

Bangkok Airlines reagiert auf die Veränderungen im Markt ebenso mit steigenden Gehältern. Auch sie möchten verhindern, dass ihr Personal zur hauptsächlich chinesischen Konkurrenz überläuft.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der asiatische Markt insbesondere für erfahrene Piloten, der asiatische Markt sehr lukrativ ist. Weil sich diese Angebote aber auf erfahrene Piloten, meist sogar nur auf Kapitäne beziehen, sind sie für den Nachwuchs in Europa also keine Alternative. Allerdings besteht für europäischen Fluggesellschaften die Gefahr, dass erfahrene Kapitäne dem Ruf des Geldes nach Asien folgen. Auch diese Lücken in der Personaldecke gälte es dann zu schliessen. Dieses Risiko ist nicht zu unterschätzen, denn der Löwenanteil des Wachstums und der damit einhergehenden Nachfrage werden in Asien stattfinden. Inwiefern die asiatischen und insbesondere chinesischen Fluggesellschaften ihr Wettbieten werden weiterführen können, bleibt abzuwarten.

Situation im arabischen Raum

Emirates hat viele Jahre lang ein grosses Wachstum zu stemmen gehabt. In jüngerer Vergangenheit wurde dieses Wachstum allerdings etwas gebremst. Dies lag einerseits am niedrigen Ölpreis. Der Preisvorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz schrumpfte. Andererseits haben die Einschränkungen, die Donald Trump zu Beginn seiner Amtszeit eingeführt hatte, zusätzlich das Geschäft beeinträchtigt. Diese kleine Krise scheint überwunden zu sein, aber es fehlt nun an Piloten für das Wachstum. Emirates kündigte bereits im Frühjahr an, dass man im Sommer 100 bis 150 Piloten zu wenig haben wird. Aufgrund dieser Unterbesetzung mussten nun Flugzeuge am Boden bleiben und Flüge gestrichen werden. Laut Emirates soll auch diese Krise im September 2018 jedoch bereits überwunden sein. Mittlerweile gibt es sogar eine Kooperation zwischen Emirates und dem Nachbarn Etihad. Um die fehlenden Stellen zu besetzen, leiht Etihad für den Zeitraum von zwei Jahren Piloten an Emirates aus. Diese Piloten werden nach dieser Zeit wieder an ihre Stelle bei Etihad zurückkehren. Von einem langfristigen Pilotenmangel möchte man bei Emirates jedoch nicht sprechen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann die fehlenden Piloten gefunden sind.

Fazit

Die Airlinebranche ist sich einig, dass es in den nächsten 20 Jahren weltweit zu einem grösseren Bedarf an Piloten kommen wird. Vor allem Asien, Nordamerika und Europa werden sich damit auseinandersetzen müssen. Insgesamt fallen fast drei Viertel der neu benötigten Piloten auf diese Regionen. Indem sie vermehrt Nachwuchs ausbilden, versuchen die europäischen Fluggesellschaften diesem Trend zu begegnen. Wo dies nicht ausreicht, wird auf bereits ausgebildete Piloten zurückgegriffen. Wenn der Trend aus Asien anhält und dort weiterhin horrende Gehälter bezahlt werden, wird sich dies vermutlich auch auf die Arbeitsbedingungen in Europa auswirken. Für die arabischen Fluggesellschaften wären Crew-Basen in Europa eine Möglichkeit. Denn viele europäische Piloten möchten nicht arbeitsbedingt nach Dubai oder Abu Dhabi auswandern. Wenn sich dann auch noch der amerikanische Markt weltweit öffnen würde, käme endgültig Bewegung in den Arbeitsmarkt. Solange aber in Europa noch genügend Piloten zur Verfügung stehen, wird sich nur langsam etwas an den Arbeitsbedingungen ändern. Dies wird vermutlich erst passieren, wenn die europäischen Fluggesellschaften realisieren, dass ihre fest angestellten Piloten sich nach einem anderen Arbeitgeber umsehen können und wollen – im Zweifelsfall auch am anderen Ende der Welt.

Verfasst von: aeropersredaktion | 09/06/2018

Single European Sky – eine Sackgasse?

Streiks der französischen Luftverkehrsüberwachung, chaotische Luftraumstrukturen in Spanien und grosse Umwege in Zentraleuropa – die Liste der Probleme im europäischem Luftraum könnte beliebig weitergeführt werden. Um diesen Problemen zu begegnen, wurde vor bald 20 Jahren das Projekt Single European Sky initiiert. Stark divergierende Interessen aller beteiligten Akteure verhindern jedoch bis anhin eine erfolgreiche Umsetzung.

Text: Roman Boller

Zu Beginn des neuen Jahrtausends herrschte in Europa Aufbruchstimmung. Die EU befand sich in den Blütejahren, der Euro wurde eingeführt, und grössere Konflikte lagen schon etwas zurück. Auch der Luftverkehr war nach der Einführung der letzten Luftverkehrsfreiheit 1997 vollständig liberalisiert. Was allerdings noch ausstand, war die Reform der Luftraumüberwachung. Diese war nach wie vor streng hoheitlich und stark abhängig von Landesgrenzen geregelt. Das führte zu einer Fragmentierung in 67 Flugverkehrskontrollstellen, einige hundert Anflugskontrollstellen und Kontrolltürme in über 650 Sektoren. Eurocontrol schätzte noch im Jahr 2006, dass die Zersplitterung und Ineffizienz des europäischen Flugsicherungssystems zusätzliche Kosten von jährlich zirka einer Milliarde Euro verursacht. Um eine moderne und kundenorientierte Flugsicherung anbieten zu können, bestand dringender Handlungsbedarf. Nach einem Bericht an die Europäische Kommission durch eine «High Level Group», bestehend aus hochrangigen Vertretern aus der zivilen und militärischen Luftfahrt, wurde die dringend nötige Reform der Flugsicherung in Europa eingeleitet. Dazu wurde im Jahr 2000 das Projekt «Single European Sky» ins Leben gerufen. Das Ziel dieser Initiative besteht darin, die Verbesserung der Gesamteffizienz des Flugverkehrs in Europa, einschließlich Kostensenkung und Kapazitätssteigerung zu realisieren.

Das Projekt Single European Sky

Die Implementierung des Single European Sky (SES) erfolgt bis anhin in zwei Phasen: Namentlich SES1 (2004) und SES2 (2009). Die nächste Phase SES2+ ist seit zwei Jahren im europäischen Parlament blockiert – unter anderem wegen hoheitlichen Problemen zwischen dem Vereinigten Königreich und Spanien betreffend des Luftraums am Flughafen von Gibraltar. Zum Zeitpunkt der Jahrtausendwende ist Eurocontrol von einem linearen Wachstum der Flugbewegungen von drei Prozent pro Jahr bis ins Jahr 2019 ausgegangen. Ohne tiefgreifende Paradigmenwechsel in der Flugsicherungsindustrie wäre man somit in absehbarer Zeit unweigerlich an die Kapazitätsgrenze gestossen. Um dies zu verhindern, wurden 2004 mit der Einführung von SES1 ehrgeizige Ziele gesetzt. Im Zeitraum von 2005 bis 2020 soll die Kapazität um 75 Prozent gesteigert werden. Gleichzeitig sollen die Kosten pro kontrolliertem Flugkilometer inflationsbereinigt um 50 Prozent gesenkt, die Safety um den Faktor zehn erhöht und der schädliche Einfluss auf die Umwelt um zehn Prozent reduziert werden. Um diese Ziele zu erreichen, war der SES auf vier Säulen aufgebaut: Performance, Technologie, Sicherheit und Kapazität. Für den Bereich der Technologie wurde eine eigene Initiative «Single European Sky ATM Research» (SESAR) ins Leben gerufen. Das Gebiet der Sicherheit sollte gar von einer eigens errichteten Agentur, der «European Aviation Safety Agency» (EASA), welche als Nachfolgeorganisation der JAA gegründet wurde, überwacht werden. Im Jahr 2010 wurde schlussendlich noch eine fünfte Säule angefügt, der Mensch im System.

Die Schaffung der heutigen Luftraumblöcke

Schnell wurde klar, dass das Hauptproblem bei der Effizienzsteigerung im europäischen Flugsicherungssystem in der Fragmentierung der Luftraumbewirtschaftung lag. Um zielführende Massnahmen gegen diese Zersplitterung ergreifen zu können, wurde 2009 das SES2-Programm aufgebaut. Ausserdem sollte damit das SES1-Projekt weiter vorangebracht werden, welches aufgrund von wirtschaftlichen und politischen Hindernissen hinter den Erwartungen blieb. Der Fokus lag dabei auf der Errichtung sogenannter funktionaler Luftraumblöcke (Functional Airspace Blocks, FAB). So wurde die Möglichkeit geschaffen, die Fragmentierung des Luftraumes in überschaubaren Gebieten zu entflechten, die Strukturen und Prozesse zu integrieren und schliesslich zu harmonisieren. Es bildeten sich neun FABs, die sowohl beinahe den gesamten europäischen Luftraum als auch einige Teile Nordafrikas abdecken (Abbildung 1). Die Schweiz ist seit 2013 im FAB European Central (FABEC). Dieser bildet den grössten FAB und wickelt 55 Prozent des kompletten europäischen Luftverkehrs ab. Das angedachte Ziel bestand darin, die Zahl der bestehenden 30 Flugsicherungsorganisationen auf neun FABs zu reduzieren. Die Umsetzung gestaltete sich schwierig und hat bis heute das Gegenteil bewirkt. Zu den bestehenden 30 Flugsicherungsorganisationen wurden 13 zusätzliche Institutionen geschaffen (9 FABs, EASA, SESAR, Netzwerk Manager und der Performance Review Body).

FAB's

Ernüchternde Fortschritte

Ein weiterer wichtiger Ansatz im SES2-Programm war, dass die traditionell luftraumorientierte Flugsicherung, in der Lotsen einen bestimmten Sektor kontrollieren, neu einen Gate-to-Gate-Ansatz verfolgen soll. Dies bedeutet, dass ein Flug nicht spezifisch nach Luftraumsektor überwacht und koordiniert wird, sondern als Ganzes vom Zurückstossen bis zum Andocken betrachtet wird. Beispielsweise sollten mit diesem Ansatz auf einem Flug von Zürich nach London Szenarien mit den folgenden, gegensätzlichen Anweisungen der Vergangenheit angehören: Zuerst die Anweisung von Reims Control, mindestens Mach 0,79 zu fliegen, dann im nächsten Sektor wegen Verspätungen in Heathrow wieder abbremsen, über Biggin Hills zwei Holdings fliegen, und schliesslich doch noch fünf Minuten auf das Freiwerden des Standplatzes warten. Um diesen Gate-to-Gate-Ansatz zu ermöglichen, müssten alle Flugsicherungsstellen auf die gleichen Daten Zugriff haben. Konzeptuell möchte man dies mit einer zentralen Datenbank erreichen, dem «System Wide Information Management» (SWIM). Damit sollen standardisierte Daten sowohl über jeden Flugplan als auch über Wetterlagen oder Flughäfen für jeden zugänglich gemacht werden können. Das setzt voraus, dass alle beteiligten Flugsicherungen mit demselben System arbeiten, was bis heute leider noch nicht der Fall ist. Aufgrund mangelnden Fortschritts wurden 2009 verbindliche Perfomance-Ziele für Kapazität, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelteinfluss vorgegeben. Damit wollte die Europäische Kommission den Druck auf die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des SES erhöhen. Nach ernüchternd ausgefallenen Fortschrittsberichten von 2012 und 2015, versucht die Kommission, die Ziele für die Jahre 2019 bis 2024 anzupassen. Nun wird ein Regulierungsansatz nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche getestet. Neu werden für hoffnungsvolle Projekte die «Single European Sky Awards» vergeben. Damit soll zumindest auf Projektebene der Anreiz für Weiterentwicklung gegeben werden.

Zielkonflikte

Dass wir heute, 15 Jahre nach der Initialisierung des Projekts SES, noch weit von dessen Realisierung entfernt sind, hat verschiedene Gründe. So viele Vorteile die Umsetzung für die Nutzer mit sich bringen würde, birgt sie doch mindestens so viele Nachteile für die verschiedenen Dienstleister. Als erstes sind hier die einzelnen Flugverkehrskontrollstellen zu nennen, die wiederum verschiedene Anspruchsgruppen haben. Diese Anspruchsgruppen sind einerseits die Europäische Kommission zusammen mit den Airlines, die auf eine baldige Umsetzung des SES-Projekts pochen. Andererseits sind es die Flugverkehrsleiter und deren Gewerkschaften, die gegen Sparmassnahmen und drohenden Stellenabbau kämpfen und dabei speziell in Frankreich immer mehr vom Instrument des Streiks Gebrauch machen – nicht zu verwechseln mit den momentan stattfindenden Streiks, ausgelöst durch Präsident Macrons Reformpaket. Das Militär und dessen Luftraum, der für den Zivilverkehr nicht oder nur sehr begrenzt zugänglich ist, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in der Umsetzung des SES. Um die Effizienz zu erhöhen, ist es unumgänglich, eng mit dem Militär zusammenzuarbeiten. Grosse Teile des europäischen Luftraums sind nach wie vor für den militärischen Nutzen reserviert (Abbildung 2). Das Militär hat jedoch kein Interesse daran, Teile dieser Lufträume abzugeben. Darüber hinaus wird auch der zivile Luftraum rege von militärischen Flugzeugen genutzt, was die Kapazität für die zivile Fliegerei wiederum verringert. Die Harmonisierung der Nutzung des Luftraums zwischen der militärischen und zivilen Fliegerei wird eine der grossen Herausforderungen bleiben. Eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung ist für eine erfolgreiche Umsetzung des SES-Projekts entscheidend.

Der Staatsgedanke als Hindernis

Auch die Hersteller der Hard- und Software der Flugsicherungsindustrie sind wichtige Mitstreiter. Diese entwickeln und verkaufen massgeschneidertes Equipment für die Flugverkehrskontrollstellen jedes Landes. Um das Ziel einer gemeinsamen Datenbank SWIM zu erreichen, müssten jedoch alle Beteiligten mit demselben Standard arbeiten. Das würde die Nachfrage nach individuellen Systemen entsprechend verkleinern, was wiederum keinesfalls im Interesse der Hersteller sein kann. Viel zu selten werden die Konsumenten und Bürger in Europa als Anspruchsgruppe erwähnt. Sie sind es jedoch, welche die Millionenbeträge, die das Projekt SES mittlerweile verschlungen hat, durch Abgaben und höhere Ticketpreise bezahlen. Den Konsumenten würde eine Umsetzung des SES Verbesserungen in Form von Sicherheit, Pünktlichkeit und Umwelteinfluss bringen. Zuletzt müssen als wohl grösste Hürde zur Umsetzung des SES-Projekts die Mitgliedsstaaten selbst erwähnt werden. Diese befinden sich in einem anspruchsvollen Spannungsfeld einerseits zwischen der Verpflichtung gegenüber der Europäischen Kommission, am SES mitzuarbeiten. Andererseits versuchen sie zu verhindern, die Souveränität über ihren eigenen Luftraum zu verlieren. Speziell in Zeiten, in denen nationalistische Sentiments einen Aufschwung erleben, möchten einzelne Länder verhindern, dass die Überwachung national wichtiger Einrichtungen und Gebiete an zentrale Organisationen ausgelagert werden. Militärische Lufträume, die für den zivilen Luftverkehr gesperrt sind, werden immer öfter unter Verschluss gehalten und erst kurz vor deren Erstellung bekanntgegeben. Das macht eine zuverlässige Planung von Flügen noch schwieriger und trägt zusätzlich zur Zersplitterung der Lufträume bei. Ausserdem stehen in erster Linie Politiker hinter den wichtigsten Entscheidungen. Nebst der Wahrung der protektionistischen Interessen des eigenen Landes, will sich kaum ein Politiker durch markante Umstrukturierungen und den damit verbundenen Stellenabbau profilieren.

Der Weg aus der Sackgasse

Es gibt wohl nur zwei Parteien, die ein konkretes Interesse an einer Umsetzung des SES-Projekts haben. Das sind einerseits die Nutzer der Lufträume. Allen voran die Airlines, die im Gegensatz zu anderen Transportbereichen die gesamte Infrastruktur über Gebühren abgelten. Alleine bei der Lufthansagruppe belaufen sich diese Kosten auf vier Prozent der Betriebskosten. Pro Leg kostet die Flugsicherung pro Passagier rund neun Euro. Andererseits hat natürlich die Europäische Kommission selber ein Interesse an einer raschen Umsetzung. Das Ziel sollte also darin bestehen, die Umsetzung auch für die restlichen Akteure so attraktiv wie möglich zu gestalten, oder zumindest deren Auswirkungen so klein wie möglich zu halten. Will man die ehrgeizigen Ziele jedoch erreichen, werden Umstrukturierungen in den Flugsicherungsdiensten unumgänglich sein. Im Bereich Approach und Tower Services mussten bereits einschneidende Veränderungen vorgenommen werden. Da eine Quersubventionierung der notorisch defizitären Regionalflugplätze durch Überfluggebühren nicht mehr erlaubt ist, wurde das Serviceangebot zum Teil bereits drastisch reduziert. Dies hat auf der anderen Seite dazu geführt, dass nun neue Technologien wie der Remote Tower getestet werden.

Den grossen Wandel in der Struktur des europäischen Luftraumes darf man wohl in naher Zukunft nicht erwarten. Wichtiger wird es sein, die Umsetzung in kleinen, für alle Parteien erträglichen Schritten zu realisieren. Die Kommission hofft, dass mit technologischen Harmonisierungen wie SWIM oder neuen Ansätzen der Digitalisierung der Infrastruktur die gescheiterte Konsolidierung durch FABs wettgemacht werden kann. Hier liegt schliesslich noch viel Potential, denn ein Teil der Infrastruktur basiert noch auf Programmiersprachen aus den frühen 70er Jahren. So soll ein SES zumindest auf Datenebene erfolgen. Ebenfalls ein wichtiger Ansatz zur Umsetzung des SES ist die Trennung zwischen der staatlichen Verantwortung und der betrieblichen Durchführung der Flugsicherungsdienste. Bei einer solchen Umsetzung, wie dies beispielsweise im mittlerer Osten bereits erfolgt ist, würden Infrastrukturen von nationaler Bedeutung wie Radaranlagen in staatlicher Hand bleiben. Die Dienstleistung jedoch könnte von einem privaten Unternehmen erbracht werden.

Will man aber die Effizienz steigern, müssen Kosten gespart werden. Das führt in letzter Konsequenz unweigerlich zu Personalabbau. Auf lange Sicht wird die Liberalisierung des europäischen Luftraums wohl auch vor den Flugsicherungsdiensten nicht halt machen. Dass die Verkehrssituation im europäischen Luftraum seit dem Start des SES-Projekts noch nicht zusammengebrochen ist, ist grösstenteils auf das ausgebliebene Wachstum des Verkehrsaufkommens zurückzuführen. In den nächsten Jahren können wir uns jedoch nicht auf weitere Weltwirtschaftskrisen verlassen. Wollen wir in Europa am Wachstum in der Aviatik teilhaben, müssen wir unseren zersplitterten Luftraum zwingend entschlacken. Sonst wird das Wachstum unabhängig von uns im Rest der Welt stattfinden. Nur wenn es die Staaten in Europa schaffen, nationale Interessen zu harmonisieren und Lösungen zusammen mit allen genannten Akteuren zu finden, wird er eventuell doch noch realisiert werden können – der Single European Sky.

Verfasst von: aeropersredaktion | 03/05/2018

Krank durch Lärm am Arbeitsplatz

Stress gehört zu den grossen Gesundheitsrisiken der heutigen Zeit. Neben den bekannten Stressfaktoren wie Schlafmangel, hohem Arbeitspensum und «Company Stress» spielt auch der Lärm bei der Arbeit eine wichtige Rolle.

Text: Patrick Herr, F/O A320

Stress entsteht durch vielerlei Ursachen: Schlafmangel, lange Arbeitstage und ein hoch dynamisches Umfeld springen als Ursachen sofort ins Auge. Aber welchen Einfluss hat eigentlich der Faktor «Lärm»? Biologisch betrachtet bewirkt Lärm in seinen verschiedenen Formen eine ganze Menge im menschlichen Körper. Auf laute Geräusche reagiert der Körper naturgemäss mit einer Art Alarmzustand – treffenderweise leitet sich das Wort Lärm von Alarm und damit vom italienischen «all’arme» (zu den Waffen) ab. Im Körper kommt es durch das Auslösen des Alarmzustands zur Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin, Cortisol und Noradrenalin. Sie bewirken beispielsweise einen erhöhten Blutdruck und eine gesteigerte Herzfrequenz. Der ganze Körper steht unter Spannung und geht sozusagen in den Angriffsmodus. Evolutionsbiologisch war das früher auch durchaus sinnvoll – wer in grauer Urzeit in der Nähe ein Raubtier brüllen hörte, sollte sich schleunigst für die Flucht oder den Kampf wappnen. Da wir uns heute aber ganz allgemein einem deutlich höheren Lärmniveau gegenübersehen (und uns meistens auch weniger Raubtiere begegnen!), ist dieser Reflex nur noch selten hilfreich. Jeder kennt den kurzen Schreck, der einem einfährt, wenn irgendwo eine Tür zuschlägt oder ein Glas herunterfällt. Der Körper erschrickt und geht kurz in den Alarmzustand, bis wieder Entwarnung gegeben wird. Das ist vielleicht weniger dramatisch als im Falle des Raubtiers anno dazumal, aber das Prinzip ist das gleiche. Wirklich gesundheitsschädlich sind diese Schrecksekunden natürlich nicht; problematisch wird es aber bei der langfristigen Einwirkung von Stress. Denn auch wenn wir Lärm nach einiger Zeit nicht mehr in der gleichen Intensität wahrnehmen, ganz an ihn gewöhnen kann sich unser Körper leider nicht. Mit zunehmender Exposition verschwindet er zwar gewissermassen mehr und mehr im Unterbewusstsein, seine Stress erzeugende Wirkung schwächt sich hingegen kaum ab. Die Augen können wir notfalls zumachen – die Ohren nicht.

dzb

Symptome und Krankheitsbilder

Eine unmittelbare Folge von zu hohem Schalldruck sind Gehörschäden. Sie können durch einmalige, besonders laute Ereignisse über etwa 120 dB(A) (Dezibel) eintreten. Das entspricht etwa dem Geräuschpegel eines startenden Flugzeugs aus nächster Nähe. Zugleich kann aber auch eine langfristige Exposition von lediglich 90 dB(A) unter Umständen zu bleibenden Gehörschäden führen. Die Tabelle auf der nächsten Seite zeigt ein paar Messergebnisse, die ich selbst im Cockpit sammeln konnte. Die grösste Belastung im Cockpit ergibt sich für uns aus der Kombination von Schallquellen im Cruise und Descent, wenn zusätzlich zum allgemein hohen Geräuschniveau, geprägt vom aerodynamischen Rauschen und der Airconditioning, Funksprüche kommen. Die Pegelspitzen erreichen dann leicht bereits Werte von über 85 dB(A); von da ist es bis zur Risikoschwelle für Gehörschäden, bei der die wöchentliche Einwirkungszeit beachtet werden muss (siehe Grafik), nicht mehr weit. Zu den oft unterschätzten Folgen von Lärm gehört insbesondere der Stress für den Körper. Der Körper reagiert auf dauerhaften Lärm genauso wie auf jeden anderen Dauerstress. Irgendwann hat er genug. Studien zufolge ist schon allein Strassenlärm in Deutschland Jahr für Jahr für knapp 4000 Herzinfarkte verantwortlich. Dieser Lärm, insbesondere nachts, führt zu gravierenden Änderungen von biologischen Risikofaktoren wie Blutfetten und Blutzucker. Ebenso kann er zu erhöhtem Blutdruck und in der Folge sogar zum Herzinfarkt führen. Laut der in Deutschland durchgeführten Studie steigt das Risiko für zu hohen Blutdruck besonders nachts.

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Lärm und Fatigue

Zu den unmittelbaren Auswirkungen von Lärm gehört auch der Einfluss auf die Fitness. Eine schwedische Studie konnte zeigen, dass Lärm bei der Arbeit sowohl Einfluss auf die eigene Einschätzung der Müdigkeit als auch auf die Reaktionsfähigkeit hat. In der Studie wurden Mechaniker der schwedischen Luftwaffe beobachtet. Eine Woche lang arbeiteten sie bei hohem Lärmniveau auf dem Vorfeld, eine Woche lang in einem Umfeld mit niedriger Lärmbelastung. Die Mechaniker wurden dabei gebeten, ihre Müdigkeit einzuschätzen. Ausserdem wurden regelmässig Reaktionstests durchgeführt. Die Ergebnisse waren wie zu erwarten: In der Phase der Lärmexposition fühlten sich die Testpersonen deutlich müder. Auch die Reaktionszeiten waren um einiges länger. Darüber hinaus klagten die Probanden deutlich häufiger über Kopfschmerzen als in der «ruhigen» Woche. Interessanterweise scheint nach dieser Studie sogar ein kumulativer Effekt vorzuliegen. Je länger die Testpersonen in der lauten Umgebung arbeiteten, desto müder schätzten sie sich selbst ein, und umso schlechter wurden ihre Resultate bei den Reaktionstests.

Lärm im Cockpit

In der Fliegerei treffen wir auf verschiedene Schallquellen. Manche sind gewollt, wie beispielsweise der Warnton beim Ausschalten des Autopiloten. Hier wird ganz bewusst eine Form von Stress, nämlich eine (zumindest kurzfristig) gesteigerte Aufmerksamkeit für eine neue Situation erzeugt. Einige Schallquellen jedoch sind als Nebenprodukte der Fliegerei nicht zu vermeiden. Zu diesen zählen insbesondere die Triebwerke (deren Ton manch romantisch angehauchter Kollege vielleicht noch als Musik durchgehen lässt), das aerodynamische Rauschen, das entsteht, wenn sich das Flugzeug durch die Luft bewegt, die Geräuschentwicklung durch die Klimaanlage im Flugzeug selbst, der Funkverkehr im Lautsprecher und so weiter.

Wie können wir uns schützen?

Die einfachste Schutzmassnahme ist – wie bei den meisten anderen Stressquellen auch – die Verringerung der Dauer, während der man sich der Schallquelle aussetzt. Der erzeugte Stress sinkt, je kürzer der Körper übermässigem Lärm ausgesetzt ist. Was in der Freizeitgestaltung vielleicht noch leicht fällt, ist im Beruf allerdings eher schwierig. Folglich müssen wir versuchen, die mehr oder weniger unvermeidliche Lärmeinwirkung an unserem Arbeitsplatz so gut es geht zu kompensieren und so gut wie möglich zu minimieren. Dazu stehen uns diverse Hilfsmittel zur Verfügung. Allen voran die Active Noise Reduction Headsets im Cockpit. Sie reduzieren die Hintergrundgeräusche immerhin um etwa 15 Dezibel. Ich persönlich empfinde diese Reduktion als eine wahre Wohltat, führt sie doch dazu, dass man sich endlich nicht mehr anschreien muss! Eine Entspannung sowohl für Gehör als auch Stimmbänder. Weiterhin gibt es im Cockpit diverse Hilfsmittel und Tricks, die zur Verminderung des Geräuschpegels beitragen können. Insbesondere bei älteren Flugzeugen lohnt sich schon das Verstellen der Lüftungsregler. Je nach Stellung kann schon eine kleine Änderung der Lüftung eine gewaltige Veränderung beim Lärmlevel erzeugen. Bei den älteren Flugzeugen unserer A320-Familie lässt sich das Geräuschniveau mit einem einfachen Trick gar um satte fünf Dezibel senken: Am Boden entsteht der grösste Teil des Lärms im Cockpit durch die Belüftung des Avionics Compartments. Das Ausschalten des Extract Fans ist vielleicht kein offizielles Procedure, aber es ist auch nicht explizit verboten (und in unseren Temperaturbereichen auch so gut wie immer unproblematisch). Und last but not least: Ist es wirklich nötig, während des Turnarounds am Boden die Lautsprecher mit der ApronFrequenz auf voller Lautstärke aufgedreht zu lassen? Viel Interessantes ist da erfahrungsgemäss in dieser Phase eh nicht zu hören. Da wir die grossen Lärmfaktoren kurzfristig nicht beeinflussen können, sollten wir uns folglich den kleinen zuwenden. Hier können wir mit sehr wenig Aufwand einen relativ grossen Nutzen erzeugen. Ich empfehle an dieser Stelle jedem von Euch, es bei Eurem nächsten Flugtag wieder mal ganz bewusst auszuprobieren – Euer Nervenkostüm wird es Euch danken.

Fazit

Wir sollten den Faktor «Lärm» bei unserer Arbeit nicht unterschätzen. Wer Lärm nur als Gefahrenquelle für Gehörschäden sieht, denkt zu kurz. Auch seiner Bedeutung für Fatigue und Stress müssen wir endlich mehr Beachtung schenken und entsprechende Schutzmassnahmen treffen – im eigenen Interesse. Zu guter Letzt sei an dieser Stelle auch nochmal auf das Angebot der Firma Neuroth hingewiesen. AEROPERS-Mitglieder können sich in jeder Schweizer Filiale zu speziellen Konditionen einen massgeschneiderten Gehörschutz herstellen lassen. Die Vermessung der Ohren dauert etwa 30 Minuten, die Herstellung etwa ein bis zwei Wochen. Weitere Infos dazu findet Ihr im Mitgliederbereich der AEROPERS-Website.

Verfasst von: aeropersredaktion | 07/04/2018

10 Jahre Zürcher Fluglärmindex – eine Analyse

Pistenverlängerungen, Abflugrouten, kantonale Richtplanung oder Nachtsperre – die Themenpalette rund um den Zürcher Fluglärmindex ist vielfältig und emotional. Dabei sachlich zu bleiben, scheint schwierig.

Neigt sich ein Jahr seinem Ende zu, wird jeweils der Flughafenbericht des abgelaufenen Jahres veröffentlicht. So geschah dies auch Ende 2017. Seit 2007 gehört es auch dazu, das Resultat des Zürcher Fluglärmindexes (ZFI) preiszugeben. Dass dieser gegenüber dem Vorjahr angestiegen ist, darf schon beinahe als Tradition bezeichnet werden – dieses Jahr waren es vier Prozent. Ob das nun ein im Vergleich zur Wichtigkeit des Flughafens akzeptabler Wert ist oder eine unbegrenzte Wucherung ohne Rücksicht auf die Bevölkerung, hängt naturgemäss von der Betrachtungsweise und Interpretation ab. Dass der ZFI Mängel hat und überarbeitet werden sollte, da sind sich jedoch die meisten Protagonisten einig. Das Gesetz über den Flughafen Zürich hält in Paragraf 1 als Grundsatz fest: «Der Staat fördert den Flughafen Zürich zur Sicherstellung seiner volks- und verkehrswirtschaftlichen Interessen. Er berücksichtigt dabei den Schutz der Bevölkerung vor schädlichen oder lästigen Auswirkungen des Flughafenbetriebs». Die unvermeidliche Lärmemission an- und abfliegender Flugzeuge gehört augenscheinlich zu solch «schädlichen oder lästigen» Auswirkungen. Doch wie kann man diesen Lärm messen, sodass man den betroffenen Personen gerecht wird? Eine einfache Darstellung mittels «Lärmteppich» in Dezibel würde das Problem allzu sehr vereinfachen. So ist die
Störung durch ein abfliegendes Flugzeug um 14 Uhr kaum einem anderen am späten Abend gleichzusetzen. Als Lösung hierzu wurde vor zehn Jahren der ZFI eingeführt.
Als zentrales Element des Gegenvorschlags zur radikalen «Volksinitiative für eine realistische Flughafenpolitik» wurde dieser 2007 als geeignetes Instrument zur Messung der von Fluglärm geplagten Personen befunden. Nach zehn Jahren und einem ZFI-Anstieg um etwas mehr als ein Drittel muss die Frage gestellt werden, ob dessen Berechnungsgrundlagen noch zeitgemäss sind und welche Faktoren zu diesem Wachstum beigetragen haben.

Der ZFI in der Theorie

Der ZFI zeigt nicht einfach auf, wie viele Personen dem Lärm der Flugzeuge rund um den Flughafen Zürich ausgesetzt sind. Er gewichtet diese Belastung abhängig von
Tageszeit und Intensität, um so deren tatsächliche Wirkung auf die betroffenen Personen zu evaluieren. Konkret werden zwei Grössen berechnet: Die Gruppe der HA (Highly Annoyed) zeigt die Anzahl der durch Fluglärm während des Wachzustands (6 bis 22 Uhr) stark belästigten Personen, die HSD (Highly Sleep Disturbed) hingegen die durch den Fluglärm im Schlaf stark gestörten Personen (22 bis 6 Uhr). Randstunden am Morgen (6 bis 7 Uhr) als auch am Abend (21 bis 22 Uhr) werden dabei höher gewichtet. Die Summe der beiden Gruppen HA und HSD ergibt schliesslich den ZFI. Das angedachte Ziel dieser Erhebung ist es, den Richtwert von 47000 betroffenen Personen nicht zu überschreiten.
Dieser basiert auf der Anzahl Flugbewegungen und der Bevölkerungszahl des Jahres 2000 sowie dem Flottenmix und dem An- und Abflugsystem des Jahres 2004. Es ist wichtig, festzuhalten, dass mit der Annahme des Gegenvorschlags des Zürcher Kantonsrats 2007 nebst dem ZFI auch die siebenstündige Nachtruhe von 23 bis 6 Uhr eingeführt wurde. Das führt sowohl in den Medien als auch in politischen Diskussionen immer wieder zu Missverständnissen. Denn in dieser Zeit darf die erste halbe Stunde für den Abbau von verspäteten Flügen, die aber vor 23 Uhr geplant sind, genutzt werden. Nach 23.30 Uhr braucht jeder Start und jede Landung eine Einzelbewilligung. Demgegenüber stehen die Nachtflüge. Im Rahmen des ZFI werden als solche Flüge bezeichnet, die nach 22 Uhr starten oder landen und somit nicht zwingend die
Nachtruhe stören.

Abbildung1_Flugbewegungen

Bild: Anzahl Flugbewegungen 2000 bis 2016 Blau Tag (6-22 Uhr) Rot Nacht (22-6 Uhr)

ZFI vs. Siedlungsentwicklung – ein Zielkonflikt

Zwei Hauptfaktoren, die den ZFI entscheidend beeinflussen können, sind die Anzahl Flugbewegungen auf der einen Seite und die Bevölkerungsdichte auf der anderen Seite. Grundlage für den Referenzzustand waren 325000 Flugbewegungen im Jahr 2000. Bis heute ist diese Zahl um 18 Prozent gesunken und bleibt seit 2002 konstant bei zirka 270000 Flugbewegungen, wie Grafik 1 illustriert. Bemerkenswert ist hierbei, dass das
Passagiervolumen in der gleichen Zeit deutlich angestiegen ist und dementsprechend mehr Passagiere pro Flug befördert werden. Von einem Wachstum der Flugbewegungen
kann also keine Rede sein. Ein anderes Bild zeigt sich bei der Betrachtung der Entwicklung des Bevölkerungswachstums in der Flughafenregion. Auch hier gilt das Jahr 2000 als Referenzjahr. Bis ins Jahr 2016 wuchs die Bevölkerung im Kanton Zürich um 23 Prozent. Im stark vom Fluglärm betroffenen Glatttal gar um 31 Prozent (Grafik 2). Ein Anstieg der Bevölkerung im Flughafengebiet bedeutet automatisch einen Anstieg des ZFI. Es kann also objektiv nachvollziehbar dargelegt werden, dass das Wachstum der Bevölkerung rund um den Flughafen einen grossen Teil zum Anstieg des ZFI beiträgt.
Dieses Bevölkerungswachstum in der Flughafenregion erfolgt keineswegs willkürlich. Es ist Teil der Strategie des im kantonalen Richtplan festgelegten Raumordnungskonzepts.
So zählt die Region Glatttal zur Kategorie «urbane Wohnlandschaft», die aufgrund intensiver Bautätigkeit an Attraktivität gewinnen und zusammen mit den «Stadtlandschaften» mindestens 80 Prozent des künftigen Bevölkerungszuwachses aufnehmen soll. Schaut man sich nochmals den eingangs erwähnten Paragraphen 1 des Flughafengesetzes an, ist eindeutig zu erkennen, dass sich hier zum Raumordnungskonzept ein Zielkonflikt ergibt. Der Staat soll den Schutz der Bevölkerung berücksichtigen, deren Belastung mit dem ZFI gemessen wird. Gleichzeitig hält der Kanton im Raumordnungskonzept fest, dass das Wachstum der Bevölkerung rund um den Flughafen stattfinden solle. Selbst mit den besten zeitgesteuerten  Schallschutzfenstern treibt jeder neue Anwohner um den Flughafen den ZFI in die Höhe, unabhängig davon, ob sich dieser effektiv belästigt fühlt oder nicht. Denn obwohl man davon ausgehen kann, dass sich ein Neuzuzüger des Fluglärms bewusst ist, kann er sich von der Erhebung des ZFI nicht «abmelden». Das gilt auch für diejenigen der über 26000 Mitarbeiter des Flughafens Zürich, die sich zwecks kurzer Arbeitswege einen nahe gelegenen Wohnsitz suchen. Es ist generell fragwürdig, Menschen im ZFI zu berücksichtigen, die im vollen Bewusstsein über die Lärmsituation frisch in die
Flughafenregion ziehen.

Abbildung2_Bevölkerungswachstum

Bild: Bevölkerungswachstum (Blau Schweiz, Rot Kanton ZH, Grün Glatttal)

ZFI ja, aber angepasst

Im Jahr 2016 erfasste der ZFI 64110 Personen. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Wachstum von vier Prozent. Über die ganzen zehn Jahre seit Bestehens des ZFI betrachtet ist dieser um 38 Prozent angewachsen. Das ist ein enormer Anstieg. Angesichts des Reiseverhaltens der Bevölkerung sowie der baulichen Entwicklung rund um den Flughafen ist in naher Zukunft kaum mit einem Rückgang zu rechnen. Gerade deshalb sollten der ZFI an die Entwicklung angepasst und bekannte Mängel behoben werden. So kann es aufgrund der aktuellen Berechnungsmethode beispielsweise sein, dass Personen als HA und HSD doppelt gezählt werden. Das mutet problematisch an, soll
der ZFI doch die effektive Zahl der gestörten Personen aufzeigen. Auch die viel zu hohe Gewichtung der Nachtflüge ab 22 Uhr sollte überdacht werden. Grundsätzlich ist es richtig, späte Flüge höher zu gewichten. Nachtflüge machen jedoch lediglich drei bis vier Prozent des Flugbetriebs aus – sie sind aber für 30 bis 40 Prozent des ZFI verantwortlich. Ausserdem investiert die SWISS als Home-Carrier in Zürich viel Geld in modernere und
somit leisere Flugzeuge. Diese Bemühungen sind im ZFI ebenfalls nicht ersichtlich. Dass der ZFI angepasst werden muss, hat auch das Parlament des Kantons Zürich erkannt. Folgendes Postulat wurde vom Kantonsrat und der zuständigen Regierungsrätin Carmen Walker Späh bereits angenommen: «Der Regierungsrat wird eingeladen, aufzuzeigen, wie der ZFI auf die im kantonalen Richtplan vorgesehene Siedlungsentwicklung (gemäss Raumordnungskonzept) ausgerichtet werden kann.» Der ZFI und dessen Entwicklung wird gerade in politischen Diskussionen regelmässig als Argument eingesetzt und bildet ein wichtiges Instrument für die kantonale Meinungsbildung. Es ist deshalb entscheidend, dass ein angepasster und aussagekräftiger ZFI zu einer konstruktiven Diskussion beitragen kann.

Text: Roman Boller

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